FREMDKÖRPER

28. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

Buenos Aires. 12.- 22. September.

12. September. Ich gehe mit meiner Mutter in die Hamletvorstellung. Seit sie das Gedächtnis verloren hat, trägt meine Mutter unter der Bluse einen wie einen Walkman aussehenden Apparat, der mit dem Arm verbunden ist und ihren Blutdruck misst. Die ganze Vorstellung über höre ich mechanische Geräusche aus ihren Kleidern kommen, als ob meine Mutter ein Roboter wäre. Die Geräusche, die der Körper meiner Mutter von sich gibt, erinnern mich daran, dass sie jeden Moment sterben kann. Als ich ein kleines Mädchen war, war der Körper meiner Mutter wie ein Polster, das alles beruhigte. Wenn ich nicht schlafen konnte, wenn ich nicht aufhören konnte zu weinen, wenn ich auf die Welt wütend war, konnte ich mich immer gegen ihre Rippen drücken und wieder aufatmen. Jetzt ist meine Mutter eine nicht mehr funktionierende Maschine.

16. September. S. verschluckt sich beim Salat essen und wir enden im Krankenhaus. Im Krankenhaus wird ihm ein Schlauch in die Nase gesteckt, an dessen Ende eine Kamara sitzt. Auf dem Bildschirm sehen wir die Kehle von S. als ob sie ein glitschiger rosa Tunnel wäre. S. sagt ¨jetzt hast du auch mein Inneres gesehen, nun kennst du alles von mir¨. Der Arzt sagt, dass er in Narkose versetzt werden muss, um zu versuchen den “Fremdkörper” zu entfernen. Ich frage mich, ob der Fremdkörper, den er verschluckt hat, ein böser Geist, eine Tomate oder ein Stück von mir ist. Sie setzen ihm eine Haube auf, ziehen ihm ein Mädchennachthemd über und fahren ihn in einer Bahre weg. Während ich im Wartesaal sitze werden im Fernsehen Bilder aus dem Irak gezeigt und ich schlafe ein. Als ich aufwache, sagt mir der Arzt, dass er ein Stück Fleisch im Hals stecken hatte, aber dass es ihm jetzt wieder gut ginge. S. macht die Augen auf und lächelt als ob ich ein Lebensretter wäre, der ihn davor bewahrt hat, im Meer zu ertrinken.

21. und 22. September. Mein Körper ist ein Übungsgelände. Ich lasse mir meinen Kopf mit allen erdenklichen Betäubungsmitteln kontaminieren. Den Tag verbringe ich wie eine Schlafwandlerin, in Zeitlupe schreibend, und nachts tobe ich mich aus unter hunderten tanzender Personen. Ich bin der Soldat meines privaten Krieges. Ich bin auf der Tanzfläche mit offenen Haaren und einem unsichtbaren Gewehr. Die Musik klingt in mir und ich spüre, dass ich von Gespenstern umgeben bin. Der Boden, auf dem ich tanze, ist ein Minenfeld. Ein Schritt und ich bin glücklich, ein Schritt und ich kann sterben.