10. 4. 1912

5. 10. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Einer meiner Lieblingsgeschichten von Petercol ist jene, in der er als junger Seemann am Kap der Guten Hoffnung strandet. Ich kenne alle Details. Etwa dass er Zen und Psychoanalyse gelesen hat. Oder dass er die schwarze Möwe durch das Bullauge beobachtete, die hartnäckig dem Schiff folgte. Dass er sich nach dem Schiffbruch nicht von diesem Bild befreien konnte. Ein schwarzer Vogel in einem runden Rahmen.

Ich bitte ihn, mir immer dieselbe Geschichte zu erzählen. Er muss mir aufzeichnen, wie das Rettungsfloß aussah, er muss mir die Verhaltensregeln bei Schiffsunglücken erklären und mir dann ganz ausführlich über die Stunden und Stunden und Stunden und Stunden berichten, die er in den Wellen auf der Naht zwischen Atlantik und Indischem Ozean zugebracht hat, während der Seemann neben ihm mit einem geschmuggelten Messer herumfuchtelt, da er Angst hat, unter der Floßplane gefangen zu bleiben, wenn sie kentern sollten.

Kam es dir in den Sinn, dass du sterben könntest?

Ich war zu jung. So etwas schien mir damals unmöglich. Und wir waren ziemlich viele.

Ich bat ihn, mir nach dem Film Who by Water von Bill Morrison wieder von seinem Schiffbruch zu erzählen. Der Film ist eine Intervention in altes dokumentarisches Material, das Reisende zeigt, die auf Deck eines Dampfschiffes gehen. Der unsichtbare Kameramann erwischt sie, doch niemand der Aufgenommenen begreift, dass es sich nicht um einen Fotoapparat handelt, sondern um eine Technik, die auch ihre Bewegungen aufzunehmen in der Lage ist. Man merkt, dass sie aufmerksam den Anweisungen von der anderen Seite des Objektivs lauschen, aber auch weiterhin das neue Medium nicht erfassen. Sie verharren in vereisten Posen, mit zum Gruß versteinerten Armen, mit gelupften Hüten, mit einem unbeweglichen Lächeln, ohne die Augenlider zu bewegen – wie Tote.

Das Schiff, das sie gerade betreten, ist natürlich die Titanic.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer