Gehen, Ausgehen

14. 8. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

Zu der Lesung im rhiz kam ich ein bisschen spät, vielleicht auch deshalb, weil ich vom Gefühl her gar nicht unbedingt zu einer Lesung aufgebrochen bin, sondern eher zu einer Art Konzert, DJ-Set, was alles auch wieder nicht stimmte, denn eine junge Autorin und ihre Übersetzerin stellten ein neues Buch vor, im Suhrkamp-Verlag erschienen. Eine Lesung also, wenngleich in einem Club. Blende. Die platinblonden Haare waren mir – aber ich weiß jetzt nicht mehr, ob da auch ein pinkes Kleid, etwas auffällig Rosarotes oder Aufreizendes im Spiel war, wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich ist das meine Assoziation zu dem Vornamen Barbi – einige Monate zuvor auf einem Fest eines Verlages aufgefallen, „ein großartiges Talent“ raunte mir ein Lektor zu, „schreibt Bernhard neu“, großes Geheimnis, so etwas wie ein Auftritt, ist ja nicht so häufig in der Literaturbranche oder zumindest in meinem Ausschnitt davon. Aber zurück (Blende), und das heißt nach vorne.

Während ich, bevor Bojana vom Clubben genug hatte / Karrer verrückt geworden ist, nur am Mittwoch mit Oehler gegangen bin, gehe ich jetzt, nachdem Bojana vom Clubben genug hat, auch am Sonntag mit Milica aus. Weil Bojana am Sonntag mit mir ausgegangen ist, gehst du jetzt, / nachdem Karrer am Montag nicht mehr mit mir geht, auch am Montag mit mir, sagt Oehler, / nachdem Bojana jetzt genug hat und vor der Glotze klebt/nachdem Karrer verrückt geworden ist und sofort nach Steinhof hinaufgekommen ist.

Barbi Marković scratcht/remixt also Thomas Bernhard. Genaugenommen hat sie aus Gehen von 1971 Ausgehen im „Belgrader Nachkriegs-Nachtleben“ (Klappentext) gemacht, ungefähr das Jahr 2005 meint dies „Nachkriegs-“, denn 2006 ist das Buch auf Serbisch erschienen, jetzt hat es die kongeniale Übersetzerin Mascha Dabić sozusagen ins Deutsche zurückübersetzt, damit fängt es schon einmal an, wird aber immer noch besser. Die Autorin ist Belgraderin, Clubberin, Germanistin. Bei der Präsentation im Wiener Club taucht sie inmitten vieler junger GermanistikstudentInnen und Freunde und Freundinnen auf und unter, es wird das rhiz dadurch keinesfalls, auch nicht ansatz- oder zitatweise zu einem Belgrader Club, das macht auch gar nichts. In Wien ist man es ja gewohnt, dass hier die Szene nicht tobt. (Deshalb gibt es immer noch eine relativ große Gruppe von Bobos oder solchen, die es einmal werden werden, die sich das so vorstellen : Leben in Berlin, denn da ist das Wohnen billiger, sind die Kneipen besser, kann man länger frühstücken usw., Arbeiten in Wien, wegen der besseren Aussicht usf.; aber das ist doch eine ganz andere Geschichte.) Ausgehen, das täte sie schon länger nicht mehr, lese ich irgendwo über Marković, schließlich ist sie mittlerweile auch schon 28. Außerdem sind im Wiener Gürtellokal einfach eher Wiener und Wienerinnen, ältere Herren aus der Verlags- und Popszene, die auf die Autorin bzw. natürlich auf diese Belgrader Ausformung von sog. Popliteratur (Suhrkamp) stehen, Publikum wie ich, in the middle of somewhere – Thomas-Bernhard-Fan von vor zwanzig Jahren und dabei gerade noch so jung, dass das Belgrader Nachtleben, die „sharpen“, „coolen“ und „sexy“ Clubberinnern Bojana und Milica mich schon interessieren …

Hören wir Musik, prüfen wir, was wir hören, und prüfen, was wir hören, so lange, bis wir sagen müssen – das, was wir hören, ist nicht herausragend, es ist mittelmäßig, was wir hören. So wie Marković Bernhard nachgedichtet, ihre Sätze über seine Sätze gebügelt, treffsicher und musikalisch-fetzig über- und neu geschrieben hat, hat sie Thomas Bernhard einen neuen Sinn verliehen und seine Ausweglosigkeit und Verzweiflung hereingeholt in die Gegenwart, so sehr, ich bin bass erstaunt. Fürs erste. So kommen wir das ganze Nachtleben lang nicht aus dem Dummen und Mittelmäßigen heraus, sagt Milica. Jetzt sind endlich die Protagonisten nicht mehr zwei alte grantelnde Männer, die in Wien im 20. Bezirk spazierengehen, sondern zwei Belgrader Clubberinnen. Eskalation natürlich aber, hier wie da. Das Clubbing braucht das Denken nicht, sagt Milica, nur unsere Eitelkeit denkt das Denken ins Clubbing hinein. (…) Die Clubszene ist eine Clublüge, behaupte ich, sagt Milica. Immer wieder strahlen klar die Sätze Thomas Bernhards durch die scharfen Sequenzen der jungen Belgrader Autorin. Es wird dadurch alles (noch) einleuchtender und mir ist sehr schnell klar, dass mir Bojana und Milica und die namenlose Erzählerin viel näher sind als die Hosen kaufenden Karrer und Oehler (bzw. natürlich nicht kaufenden, denn das ist ja unmöglich), was nicht nur mit dem Abstand von knapp zwanzig Jahren zu tun hat seit der Erstlektüre von Bernhards Gehen, sondern auch mit dem Faktum, dass die Aufregung über schütteren Hosenstoff, naja, auch damals schon ziemlich lächerlich schien.. Was ich tue (und erkenne, daß ich es tue), wenn ich sage, daß die Menschen in Belgrad so fad geworden sind, weil beschissene Partys organisiert werden, das ist nicht real. (…) Die Wahrheit ist nichts anderes, als was ich hier sehe: erschreckend. Aber weil ja, wie wir wissen, alles lächerlich ist, wenn man an den Tod denkt, und die „tschechoslowakische Ausschußware“ im rustenschacherschen Laden nur ein äußerer Anlass für Karrers Einlieferung nach Steinhof ist. Weil Karrer nicht nur den Selbstmord des Chemikers Hollensteiner (und die dem Selbstmord vorangegangene, diesen natürlich auch auslösende Auslöschung als Wissenschaftler) nicht verwinden kann, sondern ebensowenig die „vollkommene Auslöschung der Geistesaktivität dieses Landes“. Weil die Kunst des Nachdenkens darin besteht, „das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen“ und Barbi M. mit ihrer völlig uneitlen Neudichtung diesen tödlichen Augenblick ganz bewußt hinauszuziehen vermag, auf geniale Weise nämlich und auf eine kongeniale Weise intertextuell, weil sie den Verstärker macht ohne zu covern, wird Bernhards Text durch die Sätze Markovićs hindurchscheinend, stärker als er es ohne ihn sein konnte. Bojanas Rhetorik war manchmal im gesellschaftlichen Spiel die artikulierteste, Bojanas Art, Drogen zu nehmen, war die vollkommenste, Bojanas Styling war das freakigste, sagt Milica.

Die Germanistin und Autorin Marković verleibt sich den Text Gehen von Thomas Bernhard dermaßen ein, dass sie als schöpferische Leserin schließlich zur Autorin des Textes Ausgehen wird. Wir lesen mit ihr Bernhard, wie wir ihn nicht lesen konnten bisher. Sie, Bojana, habe immer schon versucht zu verstehen, warum diese sogenannten, Bojana sagte immer: sogenannte Belgrader Blicke, immer wieder habe sie darüber nachgedacht, so Milica zu Miloš, warum diese sogenannten grantigen Belgrader Blicke, die obwohl sie tatsächlich dumm, weil unbegründet, sind, dennoch eine mächtige Welle darstellen … Im übrigen gehe ich schon zu lange aus und weiß, daß eure Profi-Basiertheit den höchsten internationalen Standards entspricht. Ob Steinhof oder das völlig gesättigte Hängenbleiben vor der Glotze. Ob ein Coming-Out auf einer Privatparty oder das Begräbnis eines Selbstmörders. Ob Belgrad oder Wien. Was sind schon dreißig Jahre im wirklichen Leben der wahren Literatur!? Wenn wir ausgehen, gehen wir von einem Belgrader Club zum nächsten. Wir gehen und gehen immer von einer schlechteren Möglichkeit zur nächsten. Wegziehen, nichts anderes als aus dieser Stadt wegziehen, wiederholte Bojana, so Milica, immer wieder. Nur weggehen. Die ganzen Jahre habe ich gedacht, etwas wird sich ändern, ich werde aus Belgrad weggehen, sagte Bojana, aber nichts hat sich verändert (weil sich nichts verändern konnte), so Milica, und sie ist nicht weggegangen. Blende. Die Übung für Fortgeschrittene – nämlich sämtliche Tracks, die die Autorin in den Text hineinmontiert hat, wie einen Soundtrack aufzulegen oder wenigstens zu imaginieren – kann ich mangels Kenntnis vieler Titel nicht annähnernd praktizieren (auch wenn ich mich gerne daran erinnere, an dieses Tempo-Schreiben, an dieses In-die-Tasten-Hauen zur Musik, mit der Musik, vielleicht ist das eine Alterserscheinung; kann aber sein, in Markovićs Fall, dass es nur ein Hinweisschild ist : ihren Rhythmus gibt sie selber vor, zuverlässig, bestimmt), das ist nicht wichtig. Es ging schließlich nie um Hosenstoffe, es geht auch nicht wirklich um Belgrader VIP-Clubber. Das ist eine Stadt, in der du abstumpfen mußt, um sie auszuhalten, so Bojana zu Milica. Nirgendwo sonst gibt es eine solche Hochnäsigkeit, eine solche autoerotische Hochnäsigkeit, die du nur aushalten kannst, wenn du schwerst abgestumpft bist. Damit hat niemand rechnen können, dass eine Autorin, die bei Erscheinen der Bernhard’schen Erzählung noch gar nicht auf der Welt war, die Gültigkeit (es taugen wahrscheinlich noch einige seiner Texte zum Remix, jetzt, da der Beweis aber angetreten ist, interessieren natürlich ganz andere, ganz eigene Texte der Autorin Marković, die da hoffentlich kommen mögen) und Welthaltigkeit von Bernhards Literatur veranschaulicht und zwar mit einer ziemlichen Wucht oder einem wahrhaften Witz, was ist da der Unterschied? Existenzbewegung vollständig in Sprachbewegung transportiert (G. Blöcker). So könnte man sagen zur radikalen Schreib-, Denk- und Gehweise Bernhards. Geht weiter, sage ich jetzt zu der Markovićs. Die Zeit, in welcher ich Rücksicht genommen habe, ist vorbei, ich nehme keine Rücksicht mehr, so Karrer. / Der Zustand der vollkommenen Sättigung / der vollkommenen Gleichgültigkeit, in welchem ich mich befinde, ist das Belgrader Zen / ist ein durch und durch philosophischer Zustand.

Zitate aus : Thomas Bernhard, Gehen (1971) und Barbara “Barbi” Marković, Ausgehen (2009) – im Original Izlazenje, Rende-Verlag, Belgrad (2006) – beide im Suhrkamp Verlag erschienen.

[ Über das Ausmessen meiner Schritte– Denken, Sprechen, Sterben ]