Nebenan ist die Gespensterzone

6. 9. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

Mit Bach fängt es an, mit Bach hört es auf.

Einmal eine melancholische portugiesische Stimme, als Toni und Nina tanzen. Der Regisseur schaut zu dabei und das Lied aus den Siebzigernern ist schon nicht mehr wahr.

Deshalb kommt sonst auch keine Filmmusik vor, denke ich mir, die Credits bestätigen mich. So ruhig – und das in einem deutschen Film. Aber was ist schon wahr. Wahr scheint der Titel zu sein, er scheint sehr zu stimmen und dann lese ich in einem Interview mit dem Regisseur Petzold, dass er schon »Die Innere Sicherheit« so betiteln wollte, damals (2000) war »Gespenster« aber nur Arbeitstitel. Und was ist schon ruhig. (Stille nach dem Schuß, möchte ich hinschreiben, das ist flapsig und ja, kann es mir nicht verkneifen.) Schmauchspuren also, wenn alle schon tot sind?

Zwei Mädchen finden sich, aber eigentlich findet die eine die andere, lässt eine sich finden, als sie bemerkt, dass sie es möchte, so vielleicht : gefunden werden. Vielleicht schließen sie eine Freundschaft, die nicht so lange halten wird, das ist den beiden schon anzusehen. Aber sie könnte ja für einen Augenblick intensiv sein?

Nina wirkt verloren und dann weiß sie wieder ziemlich genau, was sie will und was nicht. Bei Toni ist es auf eine unklare Weise umgekehrt, aber das kann ja nur scheinbar sein, dass sie bekommt, was sie will : sie ist meistens in Gefahr – oder glauben wir das nur, mit Nina? Es ist leicht oder notwendig, Angst um sie zu haben, denn das was sie bekommt, kann nicht sein, was sie sich wünscht (weil sie das gar nicht wissen kann).

Beim Wiedereinstieg in den Roman, der wegen des großen Abschieds wieder einmal warten hat müssen, recherchiere ich ein wenig in meiner Recherche. Das Gespenster-Kapitel ist eines der wenigen, bei denen es kaum mehr gibt als ein paar hingeworfene Zeilen. Waren zwei Königskinder… Nebenan, neben den Mädchen, beginnt nicht die Normalität, da fängt die Gespensterzone an, nämlich die nächste… (Denn Nina und Toni haben keinen Ort, keine Identität, sie sind keine Untoten, aber lebendig, naja.)

Zwei Mädchen, das eine verloren gegangen schon im Alter von drei Jahren in Frankreich, das jetzt in Berlin auftaucht; das andere wirft sich, scheint’s, hin, will auch gefunden werden. Auf einem Casting zeigen die beiden Figuren um so viel mehr als die beiden Mädchen, die sie darstellen. Natürlich gehört es dazu, eine Rolle zu spielen und zwar überzeugend. In dem Fall soll eine Geschichte erzählt werden, lebendig, lebhaft, von einer Freundschaft. Aber »Freundinnen« bleibt einerseits nur ein Wort auf einem T-Shirt und ist darüber hinaus viel zu klein für das, was in manchen Momenten von Nina und Toni wahrgenommen wird, sie sind sehr Freundinnen und können das eigentlich gar nicht. (Und immer sind die zwei auch eine prima Leinwand für die Anderen, der Regisseur wird für mich auch durch diesen Film mehr und mehr zu einem Lieblingstopos im Film. Die holen sich jedenfalls etwas von der einen und/oder anderen, so still könnten sie gar nicht sein.) In dem Vorsprechen für irgendeine Fernsehshow oder Talkshow nehmen die Mädchen nicht irgendeine Rolle ein, sie scheinen ihre Rollen zu tauschen und spielen dabei das, was sie ursprünglich immer schon gewesen sind. Das schüchterne Mädchen, das mit der Gewalt der anderen glaubt umgehen zu können, das scheue Mädchen, das zuschauen kann und mehr sieht als die Beobachtete.

Eine Frau in Berlin, Französin, auf der Suche nach ihrer Tochter. Dass Nina diese Tochter Marie sein soll, erfahren wir bald, dass sie aber nicht die erste ist, auf die die Merkmale scheinbar zutreffen, auch. Wie schön wäre das doch, wenn alle erlöst werden könnten. Die Mutter eine Tochter, die Tochter endlich eine Mutter, und ein Zuhause, bekäme. Und was bekommt Toni? Den Regisseur? (Dass sie mit ihm zum Ficken weg ist, wie dessen Frau Nina anschnauzt, lässt auch nicht gerade eine zärtlich aufkeimende Liaison vermuten.)

Terroristen sind Gespenster, schließlich können sie nicht ein Leben führen wie irgendwelche Normalos. Auch wenn sie aufzutauchen scheinen wie in einem Film. (Im Jahr 1989 wurde etwa die ehemalige RAF-Terroristin Verena B. begnadigt. Sie bat darum, dass jegliche Entscheidung geheim bleiben sollte – weil sie nicht wieder eine Person des öffentlichen Interesses werden wolle. Nun, zwanzig Jahre später, wurde B. wieder in U-Haft genommen.) Meine Protagonistin ist auch ein Gespenst, ihre Geschichte ist aber weniger schillernd als jene von Nina und Toni. Obwohl.

Die drei Frauen in Petzolds Film bleiben Gespenster von ihrem ersten Auftreten bis zuletzt. Nur die Frau des Regisseurs, die dem eine echte Ohrfeige geben kann, eine so reale, ist ein echter Mensch. Jemanden schlagen ist vielleicht realer als jemanden küssen oder ihm bei einem Frühstück Mut zuzulächeln und keiner weiß, wofür man noch mutig sein kann, sein soll. Françoise scheint recht fröhlich darüber, dass ihre neue Tochter eine Ladendiebin ist, es scheint ihr zu gefallen. Es gefällt ihr so lange, bis Nina sich darauf einlässt und mitspielt. Aber man hätte doch so gerne, dass dieses alleine Mädchen eine Mutter bekommen könnte (nicht einsam ist sie, sondern sehr allein), eine Freundin, einen Menschen, der sie nicht beaufsichtigt.

Bei alledem bleibt »Gespenster« immer auf Distanz – und zwar zu allen. Erzählt von den dreien ohne Rührseligkeit, dafür umso genauer. Deshalb wohl auch die empfundene Wahrheit. Die ist nur dann möglich, wenn nicht in allen Details erzählt werden will, wie kam es jetzt dazu und was ist eigentlich dafür verantwortlich, dass jemand so ist wie er ist.

Gespenster wollen oder können nicht gesehen werden. Arbeitslose. Super-8-Material und dann noch Reisefilme als Transporter für Assoziationen an eine gute alte Welt (Zeit), in der Aufbruch stattfand, sollten ein Impuls sein für diese Geschichte. Die Ankunft in der eigenen Gegenwart und dem damit verbundenen Erwachsenen- und Erwerbsleben dazu der Kontrast. Die heile Welt der Elterngeneration und die unberechenbare Zukunft der Kinder sind nicht kompatibel. Die Umgebung ist ja scheinbar in Ordnung, dabei leben wir in einer unheilen Welt – wissen wir das wirklich erst seit ein paar Monaten!?

Johann Sebastian Bach, »Ich hatte viel Bekümmernis«. Das trifft auf Françoise, Toni, Nina so sehr zu. Ob Gespenster sich bekümmern können? Dass sie umhergehen können wie Lebende, unter den Menschen und Zeichen geben können wie Gespenster, Untote in Märchen? Wenigstens das soll wahr sein.

Was ist schon wahr? Was ist schon ruhig? In der Stille im Keller hört C. alle Geräusche, die möglich sind, sie hört naturgemäß noch mehr als das. Es gibt dennoch keinen Raum (keine Arbeit, keine Identität), buchstäblich, das lebt C. Wenn sie verschwindet – ihre Antwort auf all die Fragen, die sie nicht (mehr) stellen kann – machen und leben die anderen (nebenan) weiter. Was sollten sie auch sonst tun?!

[ Über das Ausmessen meiner Schritte – Recherche in der Recherche. ]