Am Markt

14. 10. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

Ich in der Zukunft. Die alten Leute zeigen sich ihren Enkelkindern, sich zeigen sich ihnen als Kinder, als junge Erwachsene. Sie reden nicht viel, es geht nur um ein paar Gesten, um einen Kuss, um dieses Ineinander von Gegenwart und Vergangenheit. Nicht, wie das Ich in der Vergangenheit gewesen ist, spielt eine Rolle in diesem Stück, von dem ich auch nach zwei Tagen nicht weiß, was ich davon halten soll, sondern sein Dasein, das alle Linearität überwunden hat. Das Gewesene beeinflusst uns immer, aber wie es gewesen ist, das sehen wir doch mit den Augen von heute.
In diesen Tagen darf ich fremd sein, alle verstehen das.
Zu Dana sage ich, dass ich das Studium in Salzburg gewählt habe, weil die Zugverbindungen zwischen Graz und S. ziemlich schlecht sind. Sie versteht das gleich.
Auf der Straße treffe ich H., wir reden über Russland und Neue Medien und verabreden uns zum Kaffee. Gestern abend bin ich in eine Vernissage hineingestolpert, die Städte und ihre zugehörigen Gesichter überlagern sich, natürlich. Als ich draußen rauche und auf die Szenerie schaue, in der sich alle kennen und reden und ein Glas Wein oder eine Flasche Bier in der Hand halten, selbstverständlich, fühlt es sich gar nicht so schlecht an, in der Rolle kenne ich mich (aus), es macht nichts, vielleicht im Gegenteil.
Ich gehe in der Stadt herum, von der mir immer nur Details einfallen, die mir lächerlich vorkommen. So wird auch mein ganzer Aufenthalt in dieser Stadt gewesen sein. Ich denke immer wieder an die gleichen Sachen. Die Armbanduhr aus dem Dorotheum und in welchem Schuhgeschäft wir immer eingekauft haben. Ich erinnere die kurzen Wege vom Samstagvormittag. Am Griechen vorbei, Unplatz, Bushaltestelle. Nichts hat sich vereinbaren lassen in mir als Mensch in G. Kunststopferei und das Übersetzungsbüro, dessen Inhaber Jahr für Jahr einen Doktortitel mehr zu haben schien. Ich verfolge den Blick eines jungen Mannes auf das Lichtschwert und denke an die Buttersemmel mit Käse, an das Cornetto im Lieferwagen beim Nachhausefahren. Dann kommt die Sonne durch, ich packe mein Manuskript aus und fange an, darin zu lesen. Das Kaffeehaus, in dem wir frühmorgens Kaffee und Kakao getrunken haben und einen kleinen Reindling gegessen, gibt es nicht mehr. Dafür kann man jetzt in der Sonne Alici essen oder Gerichte mit Polenta. Auf der Bank steht ein großer Korb mit Saubirnen, sieht natürlich idyllisch aus. Auch hier treiben sich die Fifty-Somethings herum, die sich ihr ganzes Leben nur mehr darüber zu unterhalten scheinen, wo in der Nähe von Triest man am besten essen kann. Dem Kleinstädtischen vertrau ich jetzt schon eine Weile nicht mehr, gut so. Früher habe ich hier grünen Salat verkauft und Tomaten und jetzt sitze ich da und arbeite auch. An meinem Roman.
Ich in der Zukunft. Es ist darum immer gegangen und ich wusste bestimmt, die Zukunft fängt hier nicht an, das muss woanders sein. Ein Vezierspiel vielleicht, wenn die Figuren in drei Generationen und Zeitebenen synchron handeln, sich aus der Zukunft (oder der Vergangenheit) Handlungsanweisungen geben, die darauf abzielen, den gleichen Moment noch einmal und noch einmal zu durchleben. Fehlt noch die ungewisse Perspektive des Betrachters, die das, was wir im Spiegel (auf der Leinwand) sehen, immer wieder in Frage stellt, auch, wenn das Publikum lange schon auf der Bühne sitzt.

[ Zum Ausmessen meiner Schritte – Zeit oder Perspektive ]