Talmud

17. 8. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

(man muss sich das als Jubel vorstellen. Lob der Torheit, Lob des Heiligen)

Gibt es irgendwo einen Sinn und eine Erzählung, gibt es ein Gesagtes, gibt es eine Fabel, die nicht vom Verhältnis des Menschen zum anderen Menschen erzählte? Gibt es ein Verhältnis vom Menschen zum Menschen, das nicht das Ich aus dem Selbst heraustreten liesse, das nicht jene Identität des Identischen aufbräche, durch die die Lebenden sich an ihr Sein klammern? Gibt es ein Verhältnis von Mensch zu Mensch, das nicht ethisch wäre? Die Ethik ist keine Region des Wirklichen oder Zierat an ihm. Sie ist an sich die Uneigennützigkeit selbst, die nur möglich ist in dem traumatischen Zustand, in dem die unverbesserlich gleichförmige Präsenz durch den Anderen gestört wird. Gestört oder geweckt. Die Echtheit und den Wert dieses traumatischen Zustandes zu erfahren, heisst wieder zu diesem traumatischen Zustand, zu dieser Transzendenz oder zu diesem Wachen zurückzukehren, in dem zum ersten Mal all diese „Vorstellungen“ für uns Bedeutung annehmen, d.h. uns etwas „bedeuten“. (….)

Es werden ganz bestimmte, mit sich selbst identische Lebewesen oder Situationen, die sich innerhalb von Definitionen oder Grenzen aufhalten, die sie in einer Ordnung integrieren und sie als Welt ruhen lassen, auf einmal von einem Atem durchweht, der ihren Betäubungszustand oder ihre Identität als Lebewesen oder Dinge aufwirbelt und aufrüttelt, der sie aus ihrer Ordnung herausreisst, ohne sie zu entfremden. Wunder der Menschenwesen, die es sich in ihrem Sein bequem gemacht hatten und zu neuer, tieferer, nüchternerer Wachsamkeit erwachen. Es besteht kein Zweifel; das Wunder, als Störung der Ordnung, als Zerreissen des Selben durch das Andere oder durch den Anderen, ist und bleibt die Struktur der Transzendenz.

(leicht geändert, aus: Levinas, Neue Talmud-Lesungen)