Überlegungen zur Information

16. 6. 2014 // // Kategorie Randnotizen 2014

Ich war am Lande, bin kürzlich zurückgekommen. Meinen Unmund hatte ich nicht mitgenommen aufs Land, ich hatte vor, zu schreiben, was ich auch tat. Ich habe keine Nachrichten gehört, nichts gesehen, keine Zeitung angerührt. Einmal habe ich im Gastgarten eine Frau beim Lesen der Süddeutschen gesehen und wurde von dem Impuls gepackt, das auch zu wollen, zu müssen. Dann wandte ich den Blick ab, sah über den See und dachte über dieses schlechte Gewissen nach. Immer wieder, wenn ich beschließe, die Tagespolitik nicht zu verfolgen und mich dem Informationsgeschäft zu entziehen, packt mich dieses schlechte Gewissen, das Gefühl, ignorant, egoistisch, bequem und unpolitisch zu sein. Dann versuche ich dieses schlechte Gewissen wegzumachen und argumentiere mit mir selbst.

Immer wieder erinnere ich mich an meine Zeit bei der Presse Agentur, als ich den ganzen Arbeitstag lang mit Informationen zu tun hatte. Damals war ich so am Laufenden, dass ich in jeder Diskussion zur Faktenberichtigung und Informationsreichung herangezogen wurde. Damals war ich so am Laufenden, dass meine seelische Gesundheit gefährdet war. Meine eigene Sprache hatte sich in einen Winkel verzogen, mein Schreiben stand auf dem Spiel, und ich war ständig von apokalyptischer Furcht erfüllt. Damals ist mir der Unmund zugelaufen, denn offenbar gab es einen riesigen, niemals zu stillenden Bedarf an diesem Informationssprachfluss, der in die Presse Agentur hinein und aus ihr hinausströmte, ohne Unterbrechung. Offenbar waren sehr viele Menschen von Sprache abhängig, nicht so, wie ich das gern gehabt hätte, aber doch, und ich brauchte den Unmund, um diese informative Fressucht untersuchen zu können.

Als ich vom Lande zurückkam, wartete der Unmund schon. Geschwächt lag er hinter der Wohnungstür und winselte zum Gotterbarmen. Ich hatte ihm zwar ein paar Happen mit Lachsfarben dagelassen, aber die alte Information hat für den Unmund keinen Nährwert, es muss neu sein, brandneu, Brandstiftung ist gut, in Serie am besten. Der Unmund muss das Gefühl haben, ganz nah am Puls der Zeit zu sein, damit er sich lebendig fühlt, sein eigener Puls ist abhängig von der Ereigniskette da draußen, jeder Anschlag ein Herzschlag, jeder Tote frisches Blut. Und deshalb liegt er jetzt da, der Unmund, und schaut mich vorwurfsvoll an, beinahe wäre er verhungert und verdurstet. Ich räume die eingetrockneten Blätter weg und setze mich mit einer frischen Zeitung zum Küchentisch, während der Unmund ungeduldig fiept und greint.

FPÖ würde bei Neuwahlen klaren Sieg einfahren.

Der Unmund jault entzückt, ich seufze und wünsche mich zurück an meinen See. Meine Daseinsfreude wendet sich ab, mein Unmund sabbert begeistert. Der Unmund würde FPÖ wählen, nur um der Geilheit willen, die er beim Lesen dieser Schlagzeilen empfindet. Beim Lesen dieser Schlagzeile kommt Gänsehaut auf, die Zukunft wird bedrohlich, Nazis stehen im Raum. Die FPÖ zu wählen ist des Unmunds bequemer Biedermeierterrorismus, die einzige Möglichkeit für ihn, Angst und Schrecken zu verbreiten, und am schönsten ist daran, dass er dann in der Zeitung lesen kann, wie sich die Leute vor Angst in die Hosen machen, die Leute, die der Unmund am meisten hasst, die Gscheiten, die Glaubendasssieetwasbesseressind.

Die Tagespresse dient nicht der Information, das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Sie dient der Selbstvergewisserung der Bevölkerung. In symbiotischer Art und Weise sind Informationsmedien und Medienkonsumenten und innen ihre gegenseitige Daseinsbestätigung. Die im eigentlichen Sinn unpolitisch gewordene Bevölkerung erfährt von ihrer Existenz nur noch durch die Nachrichten. Bei jeder Umfrage, die ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung ist, fürchtet diese Bevölkerung nicht um ihre leibliche Unversehrtheit, sondern klatscht jubilierend in die Hände, während sie quer und längs geschnitten, in Balkendiagrammen aufgestellt und in Tortenformen angelegt wird. Das Erkennen im Spiegel ist ein Merkmal höher entwickelter Lebewesen. Über das Spiegelstadium kommt die informationssüchtige Bevölkerung jedoch nicht hinaus.