Menschlein und Statuen

6. 9. 2014 // // Kategorie Randnotizen 2014

Es schickt sich an, Herbst zu werden, ein Mensch wandelt durch einen Park. Das Licht scheint klarer und spricht von Abschied, es gibt dem Menschen ein Gefühl ein. Eine Wehmut spürt der Mensch, er möchte lächelnd seufzen, eine Träne im Augenwinkel. Stattdessen atmet er tief die Luft ein. Sie ist warm, die Luft, sie riecht nach dunkler, schwerer Erde. Es stehen die Bäume in vollem Ornat, manche Blattspitze ist schon gelb oder angetrocknet, kräuselt sich. Er lächelt und atmet, der Mensch, und gedenkt der Romantiker, denen die Natur hier einst Gedichte eingab. Was für eine Zeit das gewesen sein mag, was für eine ferne, unwahrscheinliche Zeit. So geht der Mensch und denkt, da erscheint ihm etwas Helles in all dem Grün, zwischen den Zweigen, die ihm aufs Angenehmste die Sicht nehmen, nun legt er den Kopf zur Seite und macht noch einen Schritt, um an den Blättern vorbei diese reizende Nacktheit aus Stein zu erspähen.

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Hier eine Gestalt, dort eine Muse, weiter hinten hält ihre Schwester Blütengirlanden in Händen. Den Jüngling, an dessen Wade ein Jagdhund sich schmiegt, sieht der Mensch zunächst nur von hinten, leuchtende Backen. Er denkt das Wort, und eine heimliche Freude überkommt den Menschen. Er denkt, wie es wohl wäre, wenn ein anderer Mensch, nicht aus Stein, ein anderer Mensch als er, nackt in der Allee auftauchen würde, wenn neben einem Baumstamm helle Haut erschiene, hell und doch rosig, verglichen mit den steinernen Körpern. Lebendiges Fleisch. Ob er befremdet wäre, denkt der Mensch, oder abgestoßen, aber er kann sich nicht denken, dass dieselbe Freude in ihm aufkommen würde, das Herzlopfen der Komplizenschaft. Liebevoll und um Aufmerksamkeit bemüht blickt der Mensch zwischen den anwesenden Statuen umher. Eine heitere Frivolität verbindet diese Gestalten. Der Mensch empfindet ihre Einigkeit, nun wie ein Kind, das scheu anderen Kindern zusieht, die eine Gruppe bilden und das eine Kind nicht bemerken. Das Menschlein ist außen vor im Angesicht von Dingen, die es überdauern, die auch nicht überdauern, nichts überdauert, die ihren langsamen Verfall gleichmütig hinnehmen, sich durch ihn noch veredeln lassen.

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Es wandelt das Menschlein durch die Natur, auch sie kommt ihm ewig vor, weil sie beständig sich erneuert und treu bleibt, und er erspäht ein steinernes Brüstchen, von einer Göttin keck ins Herbstlicht gehalten. Das Menschlein ist gar sonderbar berührt, von der Kühle des Steins und seiner warmen Geste. Es pirscht sich heran, näher an die Göttin in ihrem regungslosen Sonnenbad. Ein Baum zielt und wirft dem Menschlein eine reife Eichel auf den Scheitel. Inne hält das Menschlein, es streicht sich verwundert über den Kopf. Sieht sich einem Faun gegenüber, der reglos kichert. Oder sitzt ein Häher unsichtbar im Geäst. Dem Menschlein ist die steinerne Gesellschaft nicht länger geheuer, es spürt, sie wartet nur, bis der Störenfried sich trollt. Die Gestalten blicken über das Menschlein hinweg, das ihretwegen ebenso gut bereits in einem Grabe liegen könnte. Die Sonne steht niedrig. Das Menschlein verzupft sich, still und leise geht es, unter den Bäumen weg und aus dem Parktor hinaus.

Photos © Laura Freudenthaler