Die Sprache gehört den Menschen nicht

20. 9. 2014 // // Kategorie Randnotizen 2014

Ich hatte ja versprochen, einige Beiträge für unser Programmheft, die mir besonders gut gefallen, hier vorzustellen.

Damit erspare ich mir auch, – berechnend wie ich in – die Stimmungsberichte von unseren Proben. Dazu nur soviel: Sie sind intensiv. Und das heißt eben, an einem Tag schläft man mit dem Gedanken ein, einen ganz großen Schritt getan zu haben; am nächsten liegt man länger wach, weil einem dünkt, man trete ganz schön auf der Stelle. Ohne diese seltsame Angst, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden oder das Publikum zu langweilen, ist so eine Aufführung wohl nicht zu haben. Zumal ja keiner hier »den Hut aufhat«.

BARBARA KIRCHNER, von der man alles lesen sollte, was einen Verlag gefunden hat, besonders aber »Dämmermännerung. Neuer Antifeminismus, alte Leier« und den mit Dietmar Dath gemeinsam verfassten, wunderbar überfordernden »Implex«, gehört zu den Autorinnen, denen jede Ausgewogenheit fremd ist.
Entsprechend schroff reflektiert sie zwei Zitate aus dem »Eindimensionalen Menschen«, die andeuten, wie wenig doch die Sprache den Sprechenden gehört:

»Um zu leben, hängen die Menschen von Chefs, Politikern, Stellungen und Nachbarn ab, die sie dazu verhalten, das zu sagen und meinen, was sie sagen und meinen; die gesellschaftliche Notwendigkeit zwingt sie dazu … Indem sie ihre Sprache sprechen, sprechen die Menschen auch die Sprache
ihrer Herren, Wohltäter und Werbetexter … Was sie meinen, kann nicht für bare Münze genommen werden – nicht, weil sie lügen, sondern weil das Universum des Denkens und der Praxis, in dem sie leben, ein Universum manipulierter Widersprüche ist.«

»Aber in Wirklichkeit verstehen wir einander nur durch ganze Bereiche des Missverständnisses und Widerspruchs hindurch. Das wirkliche Universum der Alltagssprache ist das des Kampfes ums Dasein.«

Die Menschen, fand Marcuse, reden wie die Werbung. Man versteht den Satz heute kaum noch,
denn die Menschen reden inzwischen ärmer als die Werbung, weil die Werbung wenigstens noch etwas sagt, etwas will (Zeug verkaufen nämlich), das sich auf etwas bezieht, das der Erfahrung, der Bestätigung, der Widerlegung zugänglich ist. Was sich aber in Internet-Foren oder Amazon-Kundenkritiken äußert, das ist die Sprache auf der ziellosen und überflüssigen Suche nach einer Herrschaft, der sie nach dem Mund reden, der sie schmeicheln kann – ein Gestotter, ein Gewürge, ein Haspeln, ein Brei, der sich auf nichts mehr bezieht, was man irgendwie überprüfen könnte. Die Leute dürfen sich jetzt äußern, weil sie es nicht mehr können. Die Widersprüche sind nicht mehr im Leben, sie sind nur noch zu finden im Versuch, sich zu diesem Leben irgendetwas zu denken, denn ein vom Denken, also vom Unterscheiden, Vergleichen, Urteilen, weiter entferntes Leben gab es noch nie. Alles ist nur noch, wie es ist. Keine
Gegenkraft. Kein Widerwort, und selbst die Zustimmung ist zum Spottbild des auf den Mund gefallenen Idioten verstümmelt: »Gefällt mir.«