Enjoy the Experience

4. 10. 2014 // // Kategorie Randnotizen 2014

Gestern habe ich endlich das Nature Theater erlebt. Dessen Konzept ist bekanntlich die Inszenierung von Telefongesprächen, in verschiedenen Formen. Gegenstand der Gespräche: The story of a life. Das Leben einer Frau. Egal, ob diese Erzählung gesungen, in karolingischen Minuskeln aufgeschrieben oder von Schauspielern gesprochen wird, die Wiedergabe folgt dem Transkript mit jedem um und äh und hehe, jedem Stottern und jeder Wiederholung. Dies soll keine Aufführungskritik sein; es steht außer Zweifel, dass es sich um eine großartige Arbeit handelt. Unabhängig von der Qualität und Komplexität dieses Kunstwerks hatte ich dabei ein interessantes Erlebnis: Mir war dieser Text unerträglich. Seines mündlichen Charakters wegen. Jeder, der schon einmal ein Gesprächstranskript gelesen oder, noch schlimmer, verfasst hat, weiß, wie sich gesprochene Sprache verschriftlicht ausmacht: teils an der Grenze zur Debilität (und das, obwohl man als Gesprächspartner interessiert lauschte und das Gegenüber vielleicht sogar recht eloquent fand). Der Text, den das Nature Theater verwendet, ist vergleichsweise sogar ziemlich flüssig. Ich habe ein eigenartiges Faible für Frauen, die Geschichten erzählen, ihr Innenleben und ihre Beziehungen analysieren, für Gespräche von Frauen, die sich über ihr Leben in aller Kleinlichkeit und Großartigkeit austauschen, die sich für den Moment des Gesprächs eine Insel schaffen, auf der sie miteinander teilen, womit sie letztlich und vorher und nachher allein sind, und sobald sie auseinandergehen, nimmt eine jede von ihnen wieder ihren alleinigen Kampf auf, und sie wirken nur umso heldenhafter, weil sie sich einen Moment lang auf den Austausch einlassen. Ich liebe es, solchen Gesprächen zu lauschen, aber gestern Abend im Mumuth quälte mich diese Mündlichkeit. Vielleicht quälte es mich, weil die Gesprächsform verfremdet, das Gesprochene verkünstlicht, weil es eben kein Miteinander Sprechen war, sondern die Flüchtigkeit, die den Reiz des Gesprächs ausmacht, erbarmungslos festgehalten wurde, und zwar als einsamer Monolog. Jedoch beschleicht mich der Verdacht, dass es auch etwas mit meiner eigenen Arbeit zu tun hat, die darin besteht, mich durch zweifelhafte Worte und unfertige Sätze, unbefriedigende Beschreibungen und fragwürdige Benennungen zu quälen, bis am Schluss etwas steht, das ich gelten lassen kann. Diesen Prozess des Sprachefindens mitverfolgen zu müssen, diese Hilflosigkeit im Ringen um Ausdruck, das Bemühen und die Dringlichkeit, sich mitzuteilen, besonders im letzten Teil, da es tatsächlich Gespräche sind, die inszeniert werden, verursachte mir Beklemmungen. Ich wand mich auf meinem Stuhl. Diese Art der Sprachproduktion, dieses gequälte, gepresste, geschriene. Das Lachen aus dem Publikum war mir unverständlich; die Gestalt, der Mensch auf der Bühne schreit und würgt schwitzend, er brauche eine Lobotomie, er wolle sich selbst völlig auswechseln. Wenn das Komik war, dann ist sie mir unzugänglich, ist mir das zu ernst. Pavol Liška wünschte zu Beginn des letzten, neuesten Teils: Enjoy the experience. Ich bin nicht bis zum Ende geblieben. Erst nachdem ich durch die Stadt gelaufen war, gegen den Druck auf meinem Brustkorb tief eingeatmet und darüber nachgedacht hatte, begriff ich, dass ich diese körperliche Empfindung kenne. Erst da wurde mir bewusst, dass ich so einatme, die Schultern nach hinten strecke, gegen die Beklemmung anatme, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und mit den Worte kämpfe. Dass es deshalb eine solche Qual für mich war, anderen in ihrer sprachlichen Unvollkommenheit und bei dem Prozess des Hervorbringens zuzusehen. Warum ist uns dieses Erzählen bloß so wesentlich?