Dreifaltigkeit als assoziativer Selbstversuch

30. 9. 2015 // // Kategorie Randnotizen 2015

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Vor mir auf dem Tisch liegen drei rote Kartons. Ich öffne den ersten und trinke die ersten drei Fläschchen. Weil, es ist nämlich so: Ich mag die Drei, geometrisch, klanglich, in Flaschenform. Auch farblich: Die Seite, auf der ich randnotiere, war mir von Anfang an (und noch ohne jeden Inhalt) sympathisch, weil ich die Farbtrias Schwarz-Weiß-Rot mag. Es sind die Grundfarben der Moderne: der politischen (schwarzes Swastika im weißen Kreis des roten Rechtecks) wie der ästhetischen (schwarze Quadrate, weiße Dreiecke, rote Kreise). Die Moderne denkt schwarz-weiß-rot. (Dass ich selbst die Fotografien in diese Dreiheit eingegliedert habe, war keine Anbiederung, sondern unumgänglich. Denke ich.) Ich mag die Drei bis zum manieristischen Exzess. Bei der Verwendung z.B. von Adjektiven. (Bevorzugt: anaphorisch, katachretisch, paradox.) Oder z.B. wenn ich Beispiele nenne (drei) oder z.B. bei Aufzählungen (dann bis: einszweidrei.) Woran liegt das? Was gefällt mir daran? Woher die Zwanghaftigkeit? (Dreimal zu fragen.) Ich will jetzt nicht wieder (zum, wenn ich mich richtig erinnere, dritten Mal*) den französischen Psychoanalytiker bemühen. Obwohl der da sagen würde: Erst der Dritte, der hinzutritt in die Glückdyade mit dem Imaginären, ermöglicht dir das Symbolische, nicht? Erst der Dritte führt dich in die Sprache ein, ja? Erst der Dritte macht dich überhaupt erst möglich, verstehst du? Aber nein, der hinzutretende Jacques soll verworfen werden (ab jetzt), und irgendwann einmal, wenn ihm danach ist, mag er wiederkehren, halluzinatorisch, bramarbasierend und sehr französisch.

*Hier irre ich natürlich: Tatsächlich handelt es sich um die vierte Bezugnahme auf J.L. Aber die Vier passt in keinen Zusammenhang. (Anm. E.R.)

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Fläschchen vier bis sechs, d.h. zurück in die Dyade, in der sich dennoch kein imaginärer Eudämonismus einstellen will. Die Zwei suggeriert viel zu bedenkenlos die perfekte Ergänzung: Es ist das fatale und fatal-vermeintliche Glück des Symbolon, der aristophanischen Hermaphroditen, die endlich die verlustig gegangene Hälfte wiederfinden und zum Einen verschmelzen, lückenlos, nahtlos, uninteressant. Vom Begehren zusammengeführt und wiedervereint, erfüllen sie die Grundvoraussetzung des Sammelns: a) Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes, b) die zusammengeführten Teile sind endlich. Dennoch: Die Sammlung beginnt erst bei der Drei. (DREI*: Nicht immer machen mehr als zwei, niemals aber weniger als drei eine Sammlung aus. – Manfred Sommer, Sammeln. Ein philosophischer Versuch.) Die Sammlung, der Klang, die Faltigkeit (was immer das sein mag …) Das Zweite tritt zum Ersten hinzu. Wie: das Deviante zur Norm. Wie: Das Grün zum Rot. Wie: Die Ambivalenz zum Eindeutigen, d.h. Kain zu Abel. Aber erst das Dritte öffnet. Erst das Dritte macht möglich: dass es Sammeln gibt (und dass Sammeln sich unendlich ausdehnen kann), dass es Polyvalenz gibt (und dass der Agon der Ambivalenz zur Revolte des Vieldeutigen wird), dass die Linie zwischen zwei Punkten zur Dreiecksfläche zwischen drei Punkten wird (und dass es möglich ist, Sucht zu kartieren.)

*Oder, raunt der andere, d.h. zweite Jacques, doch die Zwei, d.h. die Drei als Zwei, in der Zweiseitigkeit des Supplements. (ZWEI: Das Supplement fügt sich hinzu, es ist Surplus; Fülle, die eine andere Fülle bereichert, die Überfülle der Präsenz. Es kumuliert und akkumuliert die Präsenz. (…) Aber das Supplement supplementiert. Er gesellt sich nur bei, um zu ersetzen. Es kommt hinzu oder setzt sich unmerklich an-(die)-Stelle von; wenn es auffüllt, dann so, wie wenn man eine Leere füllt. – Jacques Derrida, Grammatologie.)

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Denn der Zweifel bleibt. Und er bleibt in der etymologischen Zwei begründet: Denn Zweifel, sagt z.B. ein Duden, bedeutet ursprünglich und eigentlich: Ungewissheit bei zweifacher Möglichkeit. Die Drei tritt als Ungewissheit also zur Zwei der Möglichkeiten hinzu (und ersetzt sie). D.h. erst die Drei schafft das Ungleichgewicht: Treffen zwei aufeinander, gibt es eine und eine Meinung. Treffen dagegen drei aufeinander gibt es nicht eine und eine und eine Meinung, sondern eine Meinung und eine plus eine Meinung. (Und zur Rettung der Drei: Dialektik …) D.h. dass Drei eine unspektakulär-normale Primzahl ist, während Zwei die deviante, weil einzige gerade Primzahl ist. (Und zur Rettung der Drei: Drei ist die Primzahl Nummer Zwei, d.h. eben nach der Zwei.) Oder z.B. Einsamkeit (EINSAMKEIT: Alles versinkt im Super-Max der Individuation und in der Isolationshaft der Autoreflexion. – E.R., all the world’s a cage.): Wenn es ein Innen gibt, gibt es auch ein Außen. (Und zur Rettung der Drei: Ein Gitter, das die beiden trennt.) D.h.: Wenn ich mir einen roten Karton mit drei Fläschchen kaufe und sie trinke, dann gehe ich eine Zweiheit ein: sowohl mit dem Karton, als auch mit jedem einzelnen Fläschchen. (Und zur Rettung der Drei: Natürlich, als Zieldrittes, auch mit meinem Rausch.) – D.h. ich öffne den letzten Karton. (Und zur Rettung der Drei: Es ist der Dritte.) Und trinke die letzten Fläschchen (d.h. drei). Und erkenne: Die Wahrheit ist summarisch, also die Fünf. (Cf. Das Gesetz der 5*.) Oder: Die Wahrheit liegt zwischen Zwei und Drei. (In Zahlen: 23*.) Und überlege: Wie kann ich das mit meinem autistisch verbrämten Lebensgrundsatzsolipsismus in Ein-Klang bringen? Und entscheide: Indem ich von mir in der dritten Person spreche. Und verdopple: die dritte Person zu zwei, indem ich (eins) er (zwei) und sie (drei) schreibe …

*: 2 + 3 = 5 (…) 5 + 18 = 23 (…) 1 + 7 = 8 = 32 (…) FÜNFEN. SEX. HIER IST WEISHEIT. (…) 4 x 3 x 2 x 1 Vierundzwanzig 5 x 4 x 3 x 2 x 1 Einhundertzwanzig. Siehst du? (Robert Shea, Robert A. Wilson – Illuminatus! Das Auge in der Pyramide.)