Karamellen

8. 6. 2016 // // Kategorie Randnotizen 2016

Lieber N., 

Und als er in die Straßenbahn einstieg und ein Duft oder ­Gestank ihn umgab, so süßlich aber so stark, dass es nicht mehr sicher war ob er roch oder stank und ob es Duft hätte sein können oder eher Geruch, es schien so als wäre die ganze Haut, das ganze Blut, der Atemzug, jeder, der ganze Magen voll Zucker, und Alkohol und Rauch in seiner Kleidung, als würde er nur Punschkrapfen essen, und währenddessen rauchen, eine nach der anderen, und dazwischen ein Stamperl oder zwei, und das Schlagobers und die Malakofftorten, und als wäre sein Sakko in Zuckerwasser gewaschen worden, oder seine Locken mit Zucker eingedreht, für die Erstkommunion nicht nur, nein, für das ganze Leben und ich wollte nur wissen, wo dieser Ort ist, an dem er sich immer aufhält und dessen Geruch er anzunehmen scheint. Es war der süßeste,  betrunkenste, triefendste Geruch, gleichzeitig kalt und rauchig und warm und weich wie ein Apfelstrudel mit Rum und Rosinen und Zucker und feinblättrigem Teig, wie er zergeht auf der Zunge, aber in einem Atemzug voller Rauch, weil der ganze Raum voll Rauch, aber dann kommt schon die Tante mit dem Kaffee und ich verstecke mich hinter der Couch, während ich geheime Bücher lese und niemand sieht mich und ich höre alles, und der Kaffee und die Torte und der Zucker und der Rauch, und die Musik im Radio und der Orangensaft in den Gläsern mit den Hirsch- und Jagdmotiven und im Radio Volksmusik.

Natalie