Adlers Leuchtbrille

16. 7. 2016 // // Kategorie Randnotizen 2016

Die leuchtende Brille

Was ist das dritte Auge? – Interessante Erfindung eines Wieners

In ausländischen Kreisen erweckt gegenwärtig größtes Interesse eine sensationelle Erfindung, die von Wien ausgeht, und deren praktische Anwendung für viele Millionen Menschen, wie auch für die Heeresverwaltungen aller Länder in Betracht kommt. Für Automobilisten, Aviatiker, Touristen, Techniker erscheint die leuchtende Brille ebenso bedeutsam wie für militärische Zwecke. Darüber hinaus werdenauch die Hausfrauen bei der Arbeit in Haus und Küche die mannigfaltigen Verwendungsmöglichkeiten der Leuchtbrille erkennen.

Der kleinste Schweinwerfer der Welt

Die leuchtende Brille, eine Erfindung des Wieners Benno Adler, besteht aus einem üblichen Brillengestell und unterscheidet sich auf den ersten Blick in keiner Weise von einer gewöhnlichen Brille, kann also, mit den entsprechenden Gläsern versehen, von Brillenträgern verwendet werden, ohne im geringsten aufzufallen. Im Brillensteg ist vermöge einer einfachen, sinnreichen Konstruktion eine kleine Glühlampe (Erbsenlämpchen) mit Reflektor eingebaut, die leicht auswechselbar und mit einer nur den konzentrierten Lichtstrahl herauslassenden Haube bedeckt ist. Die Zuleitungsdrähte sind im linken Brillenbügel eingebaut, ebenso auch die Kontakte, wobei kein störender Leitungsdraht sichtbar wird. Gespeist wird dieses Lämpchen von einer normalen Taschenbatterie, die leicht in der Westen- oder Rocktasche untergebracht werden kann. Die Verbindung zwischen Leuchtbrille und Batterie besorgt ein kleiner Steckkontakt, der am äußersten Ende des linken Brillenbügels angeschlossen wird.

Vermöge dieser originellen Konstruktion, die in ihrer Einfachheit wie das Ei des Kolumbus anmutet, ist der Brillenträger von der Beleuchtung des Raumes, in dem er sich aufhält, völlig unabhängig. Die leuchtende Brille gestattet ihm das Lesen, Schreiben und jede Naharbeit in schlecht beleuchteten oder auch ganz dunklen Räumen. Das dritte Auge, die Leuchtbrille, folgt jeder Bewegung des Kopfes und gibt nur dort Licht, wohin man den Blick richtet. Dazu hat man bei allen Gelegenheiten und Arbeiten die Hände frei. Im Endergebnis besitzt in der leuchtenden Brille jeder seinen eigenen Scheinwerfer, den kleisten Schweinwerfer der Welt.

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Das dritte Auge auf der Gasmaske

Autopanne in der Nacht auf einer finsteren Landstraße. Der Fahrer nimmt die Leuchtbrille und beginnt, die Hände frei, im Licht des eigenen Scheinwerfers zu arbeiten. Vormarsch im Bewegungskrieg oder bei Truppenmanövern. Der kartenlesende Offizier vermag in der Dunkelheit in jeder Lage des Körpers das Kartenbild sowie Aufzeichnungen erkennen. Der Arzt wird bei einem Krankenbesuch oder einer unvorhergesehenen Hilfeleistung, bei einem Eisenbahnunglück usw., unabhängig von jeder Beleuchtung, den Patienten untersuchen können. In Krankenhäusers kann der im Bette liegende Kranke lesen, ohne die anderen Patienten zu stören. Denn die Leuchtbrille gibt nur ihm selbst Licht, kein Lichtstrahl fällt auf die Umgebung. Dieser Fall der praktischen Anwendung spielt auch im Familienleben eine große Rolle. Die Nachttischlampe braucht nicht zu brennen, mit der Leuchtbrille kann eine Ehegatte lesen, ohne den anderen beim Einschlafen zu stören.

Eine ungewöhnliche Bedeutung der leuchtenden Brille könnte sich schließlich für den Luftschutz ergeben, indem die Gasmasken für die Truppen und auch die ganze Bevölkerung mit dem dritten Auge ausgestattet werden. Der Wiener Erfinder hat bereits derartige Gasmasken konstruiert, für die sich in letzter Zeit das italienische Luftministerium und das ungarische Kriegsministerium interessieren. Seit den letzten Tagen plant auch die britische Heeresverwaltung eines gigantische Luftschutzausrüstung der Bevölkerung Großbritanniens. Es sollen rund dreißig bis vierzig Millionen Gasmasken hergestellt werden, die den modernsten Errungenschaften der Luftschutztechnik entsprechen und bei denen auch das Prinzip der Leuchtbrille zur Anwendung gelangen dürfte.

Wie die Leuchtbrille entstand

Benno Adler begibt sich in den nächsten Tagen nach London, um mit ausländischen Interessenten über die praktische Verwertung seiner Erfindung zu verhandeln. In einem Gespärch erzählt er, wie die Idee, eine Leuchtbrille zu konstruieren, entstanden ist. Wie viele Erfindungen, gründet sich auch diese auf Zufälle und Fälle des täglichen Lebens. Ich habe die Gewohnheit, sagte Adler, vor dem Einschlafen noch lange Zeit zu lesen. Die ewige Bitte meiner Frau, endlich das Licht auszulöschen, da sie bei Lampenlicht nicht schlafen könne, brachte mich auf den Gedanken, irgend etwas zu erfinden, wodurch das Lesen in völlig dunkler Umgebung ermöglicht werden sollte. So kam ich auf dem Umweg über die Erhaltung des ehelichen Friedens zu meiner Erfindung, die, wie ich hoffe, als Made in Austria, als österreichische Idee und österreichisches Erzeugnis durch die Welt gehen wird.

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Neues Wiener Journal, 18. Feburar 1936, Seite 5