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MÄNNER, FOTOGRAFIERT VON FRAUEN

15. 7. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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MÄNNER, FOTOGRAFIERT VON FRAUEN

FRAUEN, FOTOGRAFIERT VON MÄNNERN

BABIES, FOTOGRAFIERT FÜR HOTELZIMMER

Wochenende 8. – 9. Juli. Zürich – Graz.

1. Teil Zürich-Graz. Zug.

Fünf nackte Männer in Pose, zusammen auf einem Bett. Einer etwas zwergenhaft und bedeckt mit blonden Haaren; ein anderer kräftig gebaut, ein gestandener Mann wie ein Hafenarbeiter; wieder einer ganz mager mit Augen wie Rasierklingen; der Nächste etwas jünger mit einer Rockerfrisur, und der Letzte melancholisch und fragil. Einer stützt sich dabei auf den anderen, womit sie insgesamt eine eigenartige menschliche Skulptur bilden. Wie das Foto eines Fußballteams, aber mit nackten Spielern; wie eine Gruppe männlicher Musen auf einem Neo-Renaissance-Bild; wie ein Heer einsatzbereiter Liebhaber ….

Gestern, bei einer Ausstellung von Arbeiten der Kunsthochschule Zürich, stieß ich auf ein Video, das fünf nackte Männer zeigte, die alle paar Minuten die Position wechselten. Die Arbeit hatte keinen Titel, aber die Künstlerin heißt Nicole Bachmann. Es war klar, dass eine Frau diese Männer aufgenommen hatte, so wie hinter fast allen weiblichen Akten der Kunstgeschichte der Blick eines Mannes zu erkennen ist. Es hatte etwas Drolliges, Erotisches, Melancholisches und Idiotisches wie sie in die Kamera schauten und sich von ihr anschauen ließen; wie jeder seine Pose einnahm und sein eigenes Bild vor dem weiblichen Auge einer Künstlerin konstruierte; wie sich jeder dieser Männer zu dem nackten Körper eines anderen Mannes verhielt. Und es war klar, dass es sich nicht um professionelle Aktmodelle handelte; vielmehr schienen sie eine Mischung aus Arbeitern, Intellektuellen und Sportlern zu sein, um gemeinsam ein einziges Bild der Männlichkeit zu schaffen.

Dabei kam mir erneut die Idee, ein Theaterstück mit einem Miniheer von Männern zu machen. Männer unterschiedlichen Alters, die unterschiedliche Liebesgeschichten im Leben einer Frau verkörpern. Eine Frau, dargestellt durch ihre ehemaligen Liebhaber?

Vor kurzem habe ich meine Mutter gebeten, mir eine Liste von allen Personen zu machen, die sie einmal geliebt hat, und sie sagte, die erste Person, die sie geliebt habe, sei eine Frau gewesen (ein Zopfmädchen, mit der sie sich auf den Mund küssten), und später habe sie sich in den Jungen verliebt, der das Klavier in ihrem Elternhaus stimmte, in einen Sportschwimmer, der ihr lange Liebesbriefe schrieb, in einen hässlichen Mathematiker, einen jüdischen Jungen mit grünen Augen (ihr erster Ehemann) und in meinen Vater.

Und während sie so von ihren Liebschaften erzählte, wurde mir bewusst, dass es viele Namen gab, die sie nicht nennen wollte, dass sie meinen Vater bestimmt hintergangen hatte, und dass mein Vater nicht mehr mit mir sprechen würde, wenn ich ein Stück über die ehemaligen Liebschaften meiner Mutter schreiben würde.

All das ging mir durch den Kopf, während ich im Zug von Zürich nach Graz (in einem Wagen mit Miniaturbettchen, voll besetzt mit schlafenden deutschen Frauen fuhr und durch das Fenster auf den Gang schaute, wo die Männer wie in Pose an den Fenstern lehnten und Bier tranken, bevor sie unter anderen Männern schlafen gingen.

2. Teil: Graz. Straße.

Fünf Frauenärsche mit Strings. Keine Münder, keine Beine, kein Busen, keine Augen. Nur fünf in die Kamera glotzende Ärsche, als ob sie jeden Moment etwas sagen wollten. Fünf betende oder um Penetration oder Fußtritte bittende oder die Passanten wie Kinder anlächelnde Ärsche.

Im Schaufenster einer Grazer Striptease-Bar oder Bordell habe ich ein großes Foto von Arschfrauen gesehen, das mir lange durch den Kopf ging. Frauen, von einem Mann fotografiert, um als Pornographie konsumiert zu werden. Bloßer Arsch gewordene Frauen. Ich dachte, das Beste wäre in die Stripteasebar zu gehen und dem Barbesitzer das Foto abzukaufen, um es in einem Museum als mein eigenes Ready Made auszustellen.

3. Teil: Graz Hotel.

Drei Babies, verkleidet als Babies aus früheren Zeiten, essbare Babies, Babies wie Würstchen im Nachthemd….

Als ich mein Hotelzimmer in Graz betrat, waren sämtliche Wände übersäht mit Babyfotos in merkwürdigen, geflochtenen Rahmen. Babies, fotografiert von irgendeinem Künstler, dessen Werk zu Hotelkunst geworden war.

Und alle diese Babies riefen die Erinnerung an all die Babies in mir wach, die seit Jahren in meinen Träumen erscheinen. Schon mehrmals habe ich geträumt, dass ich den Kühlschrank aufmache und ein Baby auf einem Teller drin ist, oder dass ich ein Baby in einer Schuhschachtel verstaue, oder dass ich unter meinem Kopfkissen Babyärmchen finde.

Aber in der Nacht träumte ich nicht von Babies, sondern von einem kleinen Mädchen, das nur noch wenige Monate zu leben hatte. Sie hatte Krebs und meine Aufgabe war, sie zum Lachen zu bringen. In meinem Traum war ich eine Art Possenreißer eines im Sterben liegenden Mädchens.

Mein Doppelleben

2. 7. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

27. Juni. Zürich.

Nach 18 Stunden Flug laufe ich durch die Schweizer Straßen wie eine Schlafwandlerin, während ich die letzten Tage in Buenos Aires rekonstruiere als ob es sich um einen Film handeln würde, dessen Hauptdarstellerin eine andere ist. Die eine oder andere Szene des Films schießt mir durch den Kopf: ich, wie ich beim Deutschunterricht einschlafe; ich mit meinen Freunden streitend, ich beim Schwimmen, ich im Theater, ich betrunken und headbangend wie ein Heavy Metal Girl, ich weinend am Telefon; ich, wie ich unter den Bäumen mit meinem früheren Freund spazieren gehe, ich auf der Bühne ein- und ausgehend wie eine Maus durch ein Loch in der Wand.

Ich hatte schon immer das Gefühl ein Doppelleben zu haben, und jetzt da sich mein Leben zwischen zwei Hemissphären aufteilt, wird diese Spaltung geografisch und radikal. In Argentinien geht mein Leben ohne mich weiter, und dafür habe ich einige Doppelgänger: einer, der jetzt meinen Dramatikkurs leitet (Gonzalo); einer, der für mich Regie führt (Alejo); eine Doppelgängerin, die sich um meine Katze und meine Wohnung kümmert (Luciana) und eine weitere, die meine Rolle in EL AMOR ES UN FRANCOTIRADOR (Die Liebe ist ein Scharfschütze) spielt (Natalia).

Vor kurzem habe ich sogar meine deutschsprachige Doppelgängerin kennengelernt: sie heißt Margit und ist die Übersetzerin der Tagebucheinträge und der Trilogie. An einem Regentag ist sie in Buenos Aires gelandet und vom Flughafen mit dem Taxi direkt zum Theater gekommen – mit ihren kurzen weissblonden Haaren, ihrer schwarzen Lederhose und zwei Miniaturköfferchen. Sie hat sich die Aufführung angesehen, und anschließend sind wir zur Geburtstagsparty von Alejo gefahren, wo sie die Figuren aus meinem Tagebuch jetzt auch persönlich erlebte. Es war eigenartig sie inmitten meines eigenen Kitschromans tanzen und sich mit allen unterhalten zu sehen, als ob sie sie schon von jeher kennen würde. Sie wusste alles über mich, ich dagegen nichts über sie. Doch in den Tagen nach der Party erfuhr ich, dass sie 52 ist, dass sie als junge Idealistin nach Chile gegangen ist um den Kampf gegen Pinochet zu unterstützen, dass sie in Valparaíso lebt mit zwei Hunden und zwei Katzen, und dass sie die Übersetzungen manchmal nicht schlafen lassen. Und obwohl mir noch Vieles an Margit ein Geheimnis ist, bin ich froh zu wissen, dass sie hinter mir steht, dass sie meine Sätze wie Haustiere pflegt.

Jetzt gehe ich durch Zürich und denke, dass es manchmal doch eine Erleichterung ist, meinem eigenen Leben entkommen und es von außen betrachten zu können wie in einem Traum, in dem ich Zuschauer und Protagonist zugleich bin. Dann wieder habe ich Angst, dieses Doppelleben nicht ertragen zu können: die vergangene und die zukünftige Liebe, Argentinien und Europa, die Truppe “compañía postnuclear” und die Arbeit mit S., Melancholie und Euphorie, Literatur schreiben und im Theater Regie führen …. Und ich frage mich: Warum kann man nicht zwei Herzen haben?

 

 

BETTER

17. 6. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

BETTER

Buenos Aires, 14. Juni

If I kiss you where it’s sore

If I kiss you where it’s sore

Will you feel better, better, better

Will you feel anything at all 

Ich stehe verkatert auf, gehe zu meinem Deutschkurs und höre mir dabei wieder und wieder das Lied BETTER von Regina Spektor an. Es ist kalt, die Sonne zeigt sich nicht, und ich habe meine melancholischen Kleider an. Über meinem Kopf spüre ich eine schwarze Wolke, die nur für mich existiert, eine Miniaturwolke, die mir überallhin folgt wie im Zeichentrickfilm.

Im Deutschunterricht erklärt uns der Lehrer den Unterschied zwischen KÖNNEN, MÖCHTEN, WOLLEN, MÜSSEN, DÜRFEN, und dann sollen wir Sätze mit leeren Stellen vervollständigen. Ich fülle die Leerstellen im Buch wie ein Roboter aus und denke, dass ich ein Idiot bin, dass ich nie Deutsch lernen werde, wozu ich überhaupt so eine harte Sprache lernen will, dass ich das Buch aus dem Fenster werfen und schlafen gehen sollte.

Heute ist mein Herz eine Autobahn, und ich weiß nicht, ob ich mich so fühlen KANN, MUSS oder NICHT DARF. Ich stehe mit einer Wolke über mir auf und zweifle an allem: an dem Menschen, den ich liebe, an den Stücken, die ich schreibe, an der Zukunft.

Wenn S. lange Zeit fort ist, wird seine Liebe irreal. Liebt er mich denn wirklich, wenn er nie bei mir ist? Dann klingelt das Telefon und mein ehemaliger Freund ist am Apparat um mir zu sagen, dass er mir von seiner Reise ein Geschenk mitgebracht hat und dass er es mir ins Theater bringt. Und ich frage mich, was ich mit diesem Geschenk und mit der Vergangenheit machen soll, die ins Telefon sickert, in meine Träume und in meine Gedanken, wenn ich auf der Strasse gehe und Musik höre. Ich atme ein paar Mal tief durch und sage mir, dass alles BETTER sein wird, dass es einfach nur ein melancholischer Tag ist und ich an die Zukunft denken muss.

Und wenn ich an die Zukunft denke, frage ich mich wie wohl das Leben derer sein wird, die noch fast keine Vergangenheit haben, und dann kommt mir Umaia, das Baby aus dem Stück, in den Sinn. Gestern erzählte mir Natalia, die Mutter-Schauspielerin aus Striptease, dass sie alle Artikel über das Stück aufhebt, damit sie Umaia einmal lesen kann, wenn sie größer ist. Und ich frage mich, welche Erinnerungen sie an das Stück haben wird, wenn sie mal erwachsen ist. Nimmt sie die Vorstellungen als etwas Reales oder als Fiktion wahr? Und was ist denn Vergangenheit? Doch nichts Anderes als eine Fiktion, die uns wie eine Miniaturwolke überallhin verfolgt.

Ich kann nicht schlafen.

9. 6. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

Buenos Aires, 6. Juni.

Die ersten schlaflosen Nächte, an die ich mich erinnern kann, hatte ich als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Nachts, im Bett, legte ich mir die Hand auf die Brust um meine Herzschläge zu zählen. Ich war überzeugt, dass mein Herz eine nicht richtig funktionierende Maschine war, die jeden Moment stehen bleiben würde. Meine Mutter erzählt, dass ich eines nachts im Pyjama zu ihr ins Bett kam und sagte, dass ich mein Herz nicht hören würde und bestimmt schon tot sei.
Als ich älter war, elf oder zwölf, ließ ich immer das Licht im Badezimmer brennen, weil ich die Dunkelheit hasste. Manchmal hörte ich Stimmen, die aus dem Inneren des Kopfkissens kamen und schrie nach meiner Mutter um Hilfe. Meine Mutter legte sich dann neben mich wie ein großer runder Wal, und ich schlang meine kurzen, dünnen Ärmchen um sie. Der Körper meiner Mutter war wie eine kugelsichere Weste gegen die Angst. In den Nächten, in denen meine Mutter auf meine Rufe nicht reagierte, schlüpfte ich in’s Bett meiner Schwester, das bei mir im Zimmer stand. Wenn sie schlief, machte es ihr nichts aus, aber sobald sie aufwachte, versetzte sie mir Fußtritte bis ich aus dem Bett fiel.
Aus meiner Zeit als Heranwachsende kann ich mich an keine Schlafprobleme erinnern, weil ich nie schlief. Ich ging frühestens um zwei Uhr morgens ins Bett und stand um halb sieben wieder auf, um in die Schule zu gehen. Manche Nächte probte ich außerdem mit einer post-nuklearen Bluesband von 12 Uhr nachts bis drei Uhr morgens. Die Band hieß ‘Volcó Magoya’ und setzte sich zusammen aus vier dreißigjährigen Whisky-Trinkern und mir, einem sechzehnjährigen Gör, das seine Eltern belog, um Songs mit Titeln wie ¨Wo ist Elvis?¨ , ¨City of Pain ¨ und anderen noch schlimmeren, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, zu singen. Damals schlief ich immer im Unterricht ein. Ich erinnere mich noch wie ein Mathematiklehrer, der mich mit dem Kopf auf die Hand gestützt schlafend erwischte, meinen Ellbogen anstupste und ich mit dem Kopf auf die Tischplatte fiel.
Jetzt, mit dreißig, habe ich immer noch Schlafprobleme. Ich kann oft nicht schlafen weil ich denke, wenn ich die Augen zu mache, werde ich als alte Frau aufwachen; aber im selben Augenblick in dem ich es denke … paff!.. bin ich schon alt und erinnere mich gerade daran, wie ich als junge Frau Angst hatte, die Augen zu schließen und genau so aufzuwachen. Vor kurzem habe ich einen Roman von Kurt Vonnegut gelesen. Dort kommt eine Figur vor, der etwas Ähnliches passiert und die entdeckt, dass es die Zeit nicht gibt; dass sie gleichzeitig Baby und Kadaver ist und beliebig in ihrem Leben vor- und zurückgehen kann, wenn sie nur die Augen zu macht.
In den letzten Wochen habe ich schlecht geschlafen. Deshalb habe ich heute beschlossen, ein neues Mittel gegen die Schlaflosigkeit auszuprobieren und bin um zehn Uhr abends ins Hallenbad schwimmen gegangen. Im nächtlichen Schwimmbecken waren 4 Männer und ich. Mit dem Ablauf meiner Bahnen und der Minuten leerte sich das Becken bis ich allein zurückblieb. Durch den Dampf drang Radiomusik, die Hitliste der Top 40 oder so etwas. Immer wenn ich den Kopf zum Atmen aus dem Wasser hob, hörte ich alte Liebeslieder. Danach bin ich mit nassen Haaren nach Hause gegangen und habe Nudeln gekocht.
Jetzt ist es ein Uhr vierundzwanzig und ich muss aufhören zu schreiben und ins Bett gehen. Die Arme sind ein bisschen schwer geworden durch die Anstrengung bei den Schwimmzügen und meine Augen sind gerötet. Ich hoffe ich kann schlafen und träumen immer jung zu sein.

Lola Arias

Übersetzung: Margit Schmohl