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Verpöltet

19. 8. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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Im Zug von Innsbruck nach Wien findet eine Befragung statt. Eine demoskopische Gehilfin überreicht mir Fragebogen, erbittet, diese mit Bedacht auszufüllen und verspricht, alles demnächst abzuholen.
Ich mache mich an die Arbeit. Der Fragebogen ersehnt die eingehende Beurteilung der Sauberkeit und Pünktlichkeit des Zuges. Der Zug ist sauber und pünktlich. Ich kreuze aufrichtig an und lege das fertige Dossier beiseite.
In St. Pölten, letzte Station vor Wien, wartet der Zug zehn Minuten über die planmäßige Abfahrt hinaus, weil das Umfragepersonal die Fragebogen noch nicht sämtlich wieder eingesammelt hat, hier aber, in St. Pölten, ordnungsgemäß aussteigen muß, um die ausgefüllten Fragebogen an ein St. Pöltener Auswertungsbüro zu übergeben und sich sodann nach Hause zu verfügen, denn allesamt sind sie, die Befrager, wie man hört, St. Pöltener.
So sammeln nun die Gehilfen ihre die Pünktlichkeit attestierenden Fragebogen ein und bewirken eine zehnminütige Verspätung, die der Zugführer oder Signalsteller oder sonst wer noch ins barocke vermehrt, da er später grundlos noch einmal zehn Minuten vorm freien Gleis des Kopfbahnhofs Wien-West den Zug innehalten läßt, um die Geduld aller Eiligen dieses Zuges ein weiteres mal zu prüfen.
Am Bahnsteig höre ich dann einen sagen: „Mal wieder zwanzig Minuten!“
„Müssen es scho sein!“ Sagt seine Abholerin.

Die Küste Österreichs

11. 8. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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Badehose einpacken. Halb vier aufstehen, ab nach Wien! Viertel nach fünf in der früh auf dem Airportpissoir. Beim unausgeschlafenen Pinkeln denke ich: Thomas, du guter Mensch, das entlastet auch das Flugzeug! Um wieviel wohl? Was wird die Pfütze wiegen? Frage mich auch, wie vieler Energie es bedürfte, den von der Schwerkraft jetzt so mühelos hinab getragenen Urin hinaufzupissen auf 1500 Meter Höhe. Ein happiges Quäntchen Kilowatt würde schon benötigt werden!
Dann tat mir die Pusche aber auf einmal irgendwie auch leid: Darfst nicht mit nach Wien! Mußt hierbleiben! Mußt dich trostarm mischen mit Touristenpusch (von Kaffee/Bier) und O-Saft-Seich der blöden Wirtschaftsleut in den ökologisch ausklügelten Güllebottichen des unterirdisch gleichfalls fieberhaften Flughafens Berlin-Tegel, der auch Kot aller sonstigen Vögel und Insassen unter Tage in Methanbrennstoff und Tomatensaft verwandelt. Na, immerhin!
Oben trank ich sofort einen, des ewigen Kreislaufs wegen. (Tomatensaft, fiel mir auf, trinke ich meistens, nein sogar immer nur in etwa 3500 Meter Flughöhe, und natürlich bei entsprechender Hochgeschwindigkeit! Somit ist die Tomate als klassischer Neophyt, von Südamerika kommend, wohl doch invasiv wirksam.)
Um sieben in der Früh betrat ich Österreichschen Boden und mußte gleich wieder. Hatte also doch etwas Pusche aus der Heimat mit hergebracht. Ob es ihr hier nun besser ergeht, als der verbliebenen, steht offen.
Eine erste Feststellung zur Differenz Deutschland / Österreich betraf den Betonbau: der unsrige deutsche verdankt sich der Architektur und ist so stets glatt und dünnwandig bis ins Riskante; der österreichische schuldet seine Wesensart dem grob alpinen Tunnel- und Befestigungsbau, schaut roh und fest aus und nimmt niemals ein Risiko auf sich. Amen.
Um den Vormittag zu überstehen, besuchte ich, da Kaffee Korb bis zehn geschlossen, den Sonntagsgottesdienst im Stephansdom, um auch hierbei Vergleiche anzustellen: Martin Mosebach hatte mich darauf hingewiesen, daß in Berlin zu St. Afra ein klassischer, lateinischer Gottesdienst, fast unerlaubt, ja klandestin, zelebriert würde, und ich hatte diesen dann besucht, saß dort wonnetrunken im Lichte der Gesänge und Weihrauchschwaden unter den Frömmsten. Es war einer der anmutigsten Riten, denen ich je beiwohnte.
Im Stephansdom nun der neuvatikanische, konzilsverordnete Ritus, hochmodern, knapp und arg verlabert. Bäh. Anschließend hurtig zum Reiseziel: ein Symposion zum Thema Subversion. Höhepunkt: der Kunstphilosoph Schmidt, funkelte mit einem erfrischenden, frei gesprochenen Vortrag über den Pinsel Gottes (Debatte Suger / Bernhard). Bevor ich dem großen Bloch-Herausgeber ein wenig von meinen Examina zur Blochschen Musikphilosophie (die ich für Mumpitz erachte) bei Michael Landmann (!) großtun konnte, hatte sich der Schurke, eine Zigarettenpause antäuschend, klug aus dem Kunststaub gemacht und war zu nachmittäglichen Vorbereitungen zu ausschweifigem Wiener Nachtleben verschwunden.
Dann mußte ich mal wieder eine Votzenperformance anschauen. An der Kunstschule Braunschweig hatte ich ja schon jahrelang ungezählte Votzenperformance-Prüfungen, vorrangig von Schülern der Klasse Abramovic, abnehmen müssen. Fazit: Jeder zweite weibliche Performancestudent glaubt sich, bei Gelegenheit seiner künstlerischen Arbeitsproben, nackt zeigen zu müssen. Jeder fünfte präsentiert dabei ganz ostentativ die Vagina, ist sich aber doch selten der theoretischen Tiefe dieses archaischen Aktes des sogenannten Schamweisens bewußt (vgl. H. Imhoff, Eine Geliebte Goethes, 1992). (Die Performancemännchen hingegen bevorzugen Mutproben und Sichwehtun. Zur Zeit sehr beliebt bei beiden Geschlechtern: Blutegel.) Beim Publikum aber kam die Votzenperformance, die, um einer wohlfeilen Steigerung der Affekte, sich der Effekte der Callasschen Arie „Sola, perduta, abbandonata“ aus Puccinis Manon Lescaut bediente, gut an.
Mir wehte sogar der Satz zu, die Frau sei aber mutig! Ach, du liebes bißchen! Zeitung, Welt und Fernsehn sind voller nackter Weiber, die nichts lieber täten, als auch ihre Votzen noch zu zeigen, wenn sie denn dürften, und wo sie’s dürfen, tun sie es ja auch reichlich! Und werden allseits belobigt und bestaunt dafür.
Als vor Jahren nun aber einmal ein besoffener Künstler, ziemlich berühmt, die Elefantennummer, also ähnliches, gab, wurde er fast gelyncht und aus der Galerie geschmissen. (Die Elefantennummer geht so: Beide Hosentaschen nach außen stülpen, Schlitz auf und Penis heraushängen lassen; Tasche, Tasche, Reisverschluß, Strich – fertig ist das Elefantengesicht!)
Nachdem nun das Publikum eine veritable Votze gesehen hatte und sich zufrieden gezeigt hatte, kam ich als Zugabe dran, als Votzkopp oder Arschgesicht, zum guten Schluß. Gegen 17 Uhr war es vollbracht (und in Deutschland nennen sie mein Zeug immer: witzig! Haha. In Österreich hingegen: gescheit! Das ist sehr klug, ihr gescheiten Österreicher!) und ich trank einen mir begeistert verabreichten ersten „Schops“ des Tages.
Dann trödelte ich über zwei Bierstellen und den schönen osterreischen Strand über Stunden zurück zum Flughafen, hob hinweg zurück nach Berlin und urinierte den Wiener „Schops“ am Airporturinal abwärts zum vorhinnigen Frühurin, sofern der noch nicht zu Tomatensaft neubelebt worden war, oder Methanenergie. So schloß sich der Kreis zu einem sinnvoll gelebten Tage. Und Helge Schneider behauptet recht plausibel, Berlin sei halb Leberwurst und halb Wien. Also 1/2 Berlin – 1/2 Leberwurst = Wien.
Nein! Nein! Nie! Sondern: Wien = 2 mal Berlin weniger Leberwurst! Von Falk Keuten aus Bonn erhielt ich den plausiblen und doch unverstehbaren Widerspruch: Die helgeschneidersche Aussage, Berlin sei halb Leberwurst und halb Wien, führe keineswegs zu der von mir gewählten Überschrift, da bei der korrekten Umformung der Formel, nähme man die ganze Gleichung mal 2, die Aussage entstünde: “2mal Berlin = Leberwurst + Wien” Und löse man nun diese Gleichung nach Wien hin auf, so habe zu gelten: “Wien = 2mal Berlin – Leberwurst”, was nun überhaupt nicht mehr mit meiner Überschrift übereinstimme!
Ich habe es gleich auch noch mal mit z = x durch 2 + y durch 2 durchgetüftelt und Keuten hat natürlich (natürlich? Doch, durchaus natürlich und nicht etwa künstlich) recht: x = 2z – y! Da sei ihm großer Dank bezeugt! Und doch bleibt mir das Stück ganz rätselhaft, wenn für die fühllosen, blut- und leberleeren x, y und z die leibhaftigen Wesen Wien, Leberwurst und Berlin in die Formel gestellt werden. Waren doch zuvor Leberwurst und Wien je zwei gleiche Hälften von Berlin, so soll nun ganz Wien Berlin gleich zweimal (das stelle man sich mal vor!) minus eine immerhin vorstellbare Leberwurst … tja, darf man jetzt wirklich SEIN schreiben? Tja, muß man wohl.

Kulturerbe

27. 7. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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Weil es uns langsam reichte, hatte ich mit Bernd Kramer (Karin Kramer Verlag) 1997 einen ausgedacht dumpfen “Interessenverband zum Schutze und immerwährenden Erhalt der Gaststätte ‘Zum Goldenen Hahn’, Berlin-Kreuzberg” gegründet. Wir saßen eben oftmals bei Inge und fürchteten irgendwie untergründig, daß sie uns bald auch noch die letzten Bierlöcher in Bankfilialen oder türkische Gemüsepaläste umfunktionieren würden. Beim ‘Blauen Affen’ hatte schon ein bedenklicher Wirtswechsel und eine Preiserhöhung stattgefunden. Man mußte also Inge stärken; vielleicht unsere einstmals letzte Zuflucht.
Also ein Briefkopf mit “Interessenverband” und dann losgedröhnt: “Gemäß den Richtlinien für die Durchführung der Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, beantragen die Unterzeichner bei der Deutschen UNESCO-Kommission, daß die Gaststätte: ‘Zum Goldenen Hahn’, Berlin-Kreuzberg, Heinrichplatz, als Kulturerbe der Welt in die Liste Deutscher Denkmäler aufgenommen wird.
Begründung I. 1. Die Gaststätte bildet mit ihrer Wirtin Inge, ihrer Kellnerin Diana und ihren wohlgesinnten als auch überaus einnehmenden Gästen ein einzigartiges sozial- und millieuästhetisches Ensemble. Stimmt auch! 2. Die Gaststätte ist Zeugnis noch bestehender, hochentwickelter Trink- und Geselligkeitskultur; in ihren Räumen wird gastronomische Könnerschaft in unverwechselbarer Manier zelebriert. So ist es! 3. Die Gaststätte beherbergt singulär und epochal bedeutsame Ausstattungen: ein funktionstüchtiges Heizregister, ein Hirschschädelfragment, einen präparatorisch beachtlich ausgestopften Uhu, die treffliche Reliefdarstellung eines Schäferhundhauptes, diverse Dessauer Bauhaus-Bestuhlungen sowie ein an sich und zentralheizerisch überflüssiges, aus konservatorischer Rücksicht dort aber belassenes ziemliches Ofenrohr nebst rühmlichem Allesbrenner. Nicht unerwähnt darf eine in dieser Art seltene Tischbedeckung bleiben, läßt sie doch, wenn auch in Fragmenten, die hohe Kunst der Teppichwirkerei (Anjou, frühes 13. Jahrhundert) erkennen. 4. In den Erlebnisräumlichkeiten des ‘Goldenen Hahns’ kommen, unter vornehmer Hinwegsehung über etwaige Standeszugehörigkeiten, alle Schichten der Bevölkerung zum bisweilen herzhaften Dialog oder auch alleinseligen Beträumen ihrer Alltagslage zusammen. Bacchantinnen, Alltagsjongleure, starke Raucher, behende Sozialhilfeartisten, wertkonservative Sauerländer, Mottenquäler, Herrenausstatter, Gralshüterinnen, Mund- und Fußtrinker.
Begründung II. Die sozialpolitischen Veränderungen in Deutschland bedingen insbesondere seit 1989, daß öffentliche Räume und vollendet belebte Baulichkeiten, zu denen auch die obengenannte Gaststätte ‘Zum Goldenen Hahn’ zählt, durch gewinngierige Wühlarbeiten und Designsucht postmodern gleichgeschalteter Architekten ihrer Überlebensmöglichkeiten beraubt werden. Die Unterzeichner verstehen sich als Radikal-Konservatoren, die Erhaltenswertes unter Einsatz ihrer psychischen und physischen Kräfte und vermittelst aller ihnen zur Verfügung stehenden Trink- und Denkfähigkeit bewahren wollen. Der ‘Goldene Hahn’ ist nicht nur seiner einzigartigen historischen Authentizität wegen bewahrenswert, sondern kräftigt auf vorbildliche Weise die sittliche Festigkeit seiner Gäste sogar langfristig und in internationaler Hinsicht. Daraus ergibt sich zwingend, daß die Gaststätte ‘Zum Goldenen Hahn’ als höchstlöbliches Unikat in ihrem jetzigen Zustande auf die Liste Deutscher Denkmäler zu setzen ist. Es wird für notwendig erachtet, daß die UNESCO sich schützend und bewahrend und ohne Einschränkung hinter die Gaststätte und ihre Kundschaft stellt. Denn: “Ist das Trinkgefäß erst leer, macht es keine Freude mehr!” (W.Busch) Berlin, den 1. Mai 1997 Bernd Kramer & Thomas Kapielski”
Na, lustig! Wurde gut aufgenommen bei Inge, wurde tüchtig gepietschert drauf! Und dann gaben wir so paar Kopien rum, spielten Pressemitteilung und rumms!: sprang die gemäßigte ‘Bild’-Variante ‘B.Z.’ aus dem Hause Springer an, schickte zwei ihrer netten Jungfitties mit Lehrling vorbei, und als es schon keiner mehr glaubte, kam die Doppelseite vier und fünf mit Balkenschrift: “Kreuzberger Kneipe so wertvoll wie Sanssouci?” Dazu Fotos vom Hirschen und Hunderelief, Gruppenfoto innen, Foto der Antragsteller draußen beim gestellten Annageln der Unesco-Schutzschildchen und am Hammer der Schriftsteller “Bernd Kapielski (45)”.
So. Zwei Tage Ruhe, dann Kettenreaktion. Nun allerdings nicht bei der Presse, sondern beim Fernsehn. Das ging so: Telefon: “Guten Tag, mein Name ist Sabine Unholdt von Avanti-Media-2000-Filmproductions. Wir haben von Ihrer echt lustigen Initiative im ‘Goldenen Hahn’ gehört und fanden das echt super und wollten da gleich mal vorbeikommen und eine Produktion anrecherchieren. Könnten wir uns dort gleich treffen?” – “Nö.” – “Nein?? Warum denn nicht?” – “Ich muß erst fragen, ob die das überhaupt wollen, die Wirtin und die Gäste.” – “Ja, sagen Sie mal, der ‘Goldene Hahn’ hat ja gar keinen Telefoneintrag. Ich würde da sonst gleich mal anfragen.” – “Die wollen kein Telefon.” – “Ach, das ist aber echt kraß. Trotzdem, ich geb Ihnen jetzt auf jeden Fall mal meine Handy-Nummer.” – So, so, da hatten wir jetzt eine richtig flotte informelle Mitarbeiterin aus der privaten Fernsehproduktion an der Funkstrippe. Ich wollte sie weg haben: “Moment mal, Frau Avanti, da ist noch was. Wir wollen Honorar!” – “O!” – “O ja! Zweitausend!” – Betretenes Schweigen, der Beschuß mit Interjektionen fand ein jähes Ende. Kurze Besinnung und dann: “Herr Kapielski, da muß ich Sie mal zu Herrn Hochkant durchstellen.” – Knick knack: “Guten Tag, Hochhut von Avanti-Media 2000! Was wollen Sie denn mit so viel Geld?” – “Das, was Sie damit vielleicht auch wollen würden. Wir möchten bei Inge einen Bierfond einrichten, damit auch bei Flaute unter den Armen ausgeschenkt wird.” Ab hier hielten die uns immer für voll voll und echt kraß verblödet.
Täglich klingelten mehrere solcher privaten Filmzulieferer und fanden alles total gut und echt super. Ab zweitausend Mark wurde man durchgestellt, und beim Bierfond fanden die voll guten Absichten regelmäßig ihr Ende.
Bis Jürgen von der Lippe auch erst mal eine Tussi zum Anrecherchieren auf Kramer und mich ansetzte. Geldprobleme schienen die nun gar nicht zu haben. Im Gegenteil, sie deuteten unsere hohen Bierpreise sogar als Zeichen medialer Professionalität aus. Es sollte irgendeine Live-Sendung werden; da mochten sie sichergehen, daß die zwei kecken Kneipenretter nicht im Angesicht der vielen Scheinwerfer und Kameraonkels mit feuchten Händen dasitzen, stottern und schwitzen. Also macht man einen Probedreh, schaut, ob die Herren halbwegs fotogen den weiten Weg in die Fernsehstuben überstehen, und will auch sonst noch einiges Privates wissen, damit man weiß, wer man ist und was man fragen könnte und in welcher Hinsicht der Moderator doofer als die Kneipenretter sein könnte. Sie bereiten sich vor: Tausend Absicherungen prästabilieren die ‘Live’-Harmonie!
Ich rief Kramer an. Kramer begeistert. Mir war die Sache unheimlich. Ich hatte solche TV-Kurzauftritte schon erlebt. Man wartet den halben Tag in öden Funkhäusern; sie achten wie die Besessenen darauf, daß man sich vorher ja keinen ansäuft, und dann wirst du in der Maske mit einem Puder bestrichen, der für dreißig Minuten die Schweißdrüsen außer Funktion setzt. Und dann sitzt du da, im gleißenden Licht, und weil der Schweiß ja irgendwo raus muß, tropft er um so stärker aus den Hosenbeinen und bildet unten peinliche Pfützen. Ein gutlauniger Profi tritt auf, labert voller Begeisterung in den Kameraschacht mit der roten Lampe und schießt seine Salven ab. Dann fragt er was Unklares, du sagst “Ja, schon…”, und das war es dann schon! Sie beklatschen dein “Ja, schon, ä…” und dann kommt auch schon der nächste Patient hereingegrinst, um sein “Ja, aber, ä…” von sich zu geben. Dann darf man ein Taxi in ein Mainzer Hotel nehmen und sich auf eigene Rechnung an der Hotelbar besaufen. Mit dem etwas später eintreffenden anderen “Ja, aber”-Mann hockt man zwischen gemütskranken Vertretern und macht Manöverkritik: “Nächstesmal muß man gleich, ä, dazwischenreden und seine wichtigen Sachen sagen, wa?!” – “Genau!”
“Kramer”, empfahl ich, “das lassen wir lieber! Gegen die Säue kommst du nicht an. Da geht’s um den Lippe und nicht um uns.” Um im Fernsehn zu bestehen, muß man eine gewisse Stärke haben. Die kann man sich antrainieren, aber es ist auch eine gehörige Portion Naturtalent nötig. Den Wolfgang Neuss schafft nicht jeder! Und wenn man frech wird im Fernsehn, dann ziehen sie dir das Mikro runter und schalten die Kamera auf eine andere Grinsbacke, da kannst du rumfuchteln wie du willst. Dezente Herren führen dich notfalls nach hinten ab in die Kulissen. Ich hab es erlebt.
Wir waren uns schließlich einig, wir machen das trotzdem mal. Das wird schon! Dann schickte Kramer zur Anrecherche seinen anarchistischen Verlagskatalog und seinen verferkelten ‘Schwarzen Kalender’ mit hin, und das Problem war erledigt. Eine freundliche Absage, und man hörte nie wieder was von Donnerlippe.
(Schöne “Geschichte & Geschichten” zum Goldenen Hahn haben jetzt gesammelt und herausgebracht Bernd Kramer und Erik Steffen; das kann man beim Karin Kramer Verlag Berlin bestellen: info@karin-kramer-verlag.de)

Engelsenge

19. 7. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

Auf seiner Himmelsreise besichtigt Henoch ein komfortables Gefängnis für gefallene Engel. Wie kam es zum Fall? -:
Da die Göttersöhne (selbst Engel und vom dritten Sohn Adams, Seth, herstammend) verbotenerweise mit Menschentöchtern (vom Brudermörder Kain abstammend) Kinder zeugten, und diese Kinder Riesen wurden, die das Böse in die Welt brachten und ALLES auffraßen, wurden zunächst diese Riesengefräßigen von Gott beseitigt, und dann nahm er die Göttersöhne (bzw. Engel) in komfortable Schutzhaft, sperrte sie ein für immer, so daß sie zu gefallenen, abgestürzten Engeln wurden.
Die Menschen aber wurden, einiger weniger läufiger Menschentöchter wegen, allesamt zur Strafe von da an höchstens hundertzwanzig Jahre alt. (Gen 6, 1-4)
Was macht Gott hier wieder? Das ist verrückt! Wenn jemand zu strafen wäre, dann doch ausschließlich die lüsternen Göttersöhne. Die Menschentöchter werden sich nicht sonderlich gesträubt haben, hätten Göttersöhnen aber den Akt auch nie verweigern dürfen. Nun straft Gott zwar ein wenig und milde die Söhne, die Bräute aber mit der gesamten Menschheit durch eine Begrenzung ihrer Lebenszeit!
Seltsam? -: Nein! Denn siehe da: alles war doch wieder gut so! Man kann doch froh sein, daß es so passiert ist, denn: Die gefallenen Engel lagern nun ewig betrübt und gelangweilt unsterblich auf Watte. Wir aber lungern hier, mit den übrigen Bräuten, alle allerhöchstens hundertzwanzig Jahre betrübt (?) herum.
Und dann ist, gottlob! -: Feierabend!
Hoffe ich.