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Ein Mondtag

25. 9. 2006 // // Kategorie Randnotizen 2006

Die Primzahl ist ein Geheimnis von Zahlen. Die Literatur ist ein Geheimnis von Sprache.Der Mathematiker freut sich über neu entdeckte Primzahlen, und wir freuen uns über neu gebaute Sätze, mit unteren und oberen Etagen. Das versprochene Wort ist ein gesprochenes, aber noch kein geschriebenes, obwohl das versprochene im geschriebenen Wort hineinverpackt sein kann. O la la, wie liebend würde sich Klopstock noch heute diesem Geheimnis nähern.

Ein Montag

18. 9. 2006 // // Kategorie Randnotizen 2006

Gerhard Amanshauser lebt nicht mehr. Ich habe mich nicht von ihm verabschiedet. Die Karte ist zu spät in meiner Post gewesen. Seiner Witwe Barbara habe ich einen gestammelten Brief geschrieben. Wir haben ihn den gläsernen Tänzer genannt, weil er wie niemand sonst elegant über das Parkett zu gleiten pflegte. Jeder Mensch, der nicht mehr ist, verändert die Welt, sagt Adorno. Ich komme von einer Lesung in Strobl am Wolfgangsee zurück, die mich sechzig Kilometer von Salzburg entfernt in meine Vergangenheit und seine tote Nähe gebracht hat. Ich war mit der Bahn auf dem Schafberg und habe leibhaftig von 1780 Metern hoch oben den Wolfgangsee, den Attersee, den Mondsee, den Fuschlsee, den Irrsee, und von der Himmelpforte aus den Krottensee bestaunt. Sechs Seen, der siebente hat sich versteckt vor mir. Den hätte ich am äußeren Punkt der Spinnerin entdecken können. Mein Höhenschwindel hat mir diese sieben auf einen Streich nicht vergönnt. Auch zum Adlerhorst habe ich robben wollen, nackte Angst und starker Wind haben mir diese steinerne Schinderei erspart. Wäre ich ein Vogel gewesen, am besten ein Adler, ja dann… und hätte singen mögen “Im Westen geht die Sonne unter, im Osten auch. Dann viel Glück!” (Herbert Brandl)

Fernsehen und nah sehen

8. 9. 2006 // // Kategorie Randnotizen 2006

Gelesen habe ich “Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich” von Sigmund Freud bei Klaus Hoffer. Dieser Satz lässt mich nicht mehr los. In den vergangenen Tagen habe ich Zeitungen gelesen und ferngesehen. Und je mehr ich Zeitungen gelesen habe, und je mehr ich ferngesehen habe, umso heimlicher bin ich mir geworden. Das nenne ich Verstummen.

Berge

31. 8. 2006 // // Kategorie Randnotizen 2006

Seitdem ich wieder in der Stadt bin, und das schon mehr als eine Woche, flattere ich herum als aufgescheuchtes Huhn, das ihre Federn in den Bergen gelassen hat. Die Berge rufen mich, auch wenn ich sie nicht erklettern möchte, nur ansehen. Ich habe mir für dieses Panorama ein Dirndl am kirchlichen Flohmarkt gekauft, darin habe ich mich wie eine Sennerin gefühlt, die von der Alm gekommen ist, damit sie gleich wieder auf die Alm und zur Kuh abrauscht, da unten hat sie nichts zu suchen, bei diesem Kaufrausch und wo es keinen Almrausch gibt. Jetzt komme ich mir wie damals verkleidet vor, jetzt, wo ich statt Berge meine mir fern vertraute Straßennachbarin beim täglichen Fensterputz sehe. [weiter…]