Wir sind wieder in Istrien. Ich bin gerade zurück von einem Literaturfestival in Slowenien gekommen; dort habe ich ein Stipendium bekommen (huraaaa!), von dem ich einige Monate leben werde. Ich habe dort auch an einem round table unter dem Titel The Author Between Text and Context teilgenommen, der anlässlich des 40. Jahrestages des Erscheinens des Essays von Roland Barthes Der Tod des Autors organisiert wurde. Ich hatte auch einige Lesungen, die bizarrste darunter war eine, die in einem Kirchlein in einem nebeligen Dorf stattfand. Es lohnt sich, davon zu erzählen.
Der Beginn verzögert sich wegen Regens, und bei der Lesung erscheinen ausschließlich die Bewohner des Dorfes. Beim Eintritt in die Kirche gehen sie kurz in die Knie und bekreuzigen sie sich einige Male, bevor sie sich endlich in die überfüllten Bänke quetschen, während ich als Star dieses Abends besorgt beiseite stehe und das Gesicht verziehe wegen dieser gottesfürchtigen Zeremonie. Ich betrachte die milden Gesichter von Maria und Jesus um mich herum, bemerke die Rosenkränze, die um die Handgelenken der Großmütterchen in der ersten Reihe gewickelt sind, die Kerzen unter den seligen Bildern der Märtyrer, die Kirchenstöcke für die Spenden zum Erhalt des Gebäudes – und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.
Erstens deshalb, weil die Kirche also nicht desakralisiert ist, wie es sonst anlässlich derartiger Kulturveranstaltungen an derartigen Orten üblich ist.
Zweitens, weil ich in meinen Händen eine Erzählung halte, die mit der Festivalleitung abgesprochen ist. Diese und keine andere.
Drittens, weil es eine Geschichte über lesbische Liebe ist, voller Begierde – meiner Begierde. Darüber hinaus ist sie gespickt mit Schimpfworten, mit ironischen Kommentaren die Ewigkeit betreffend und mit dem Standpunkt, nach dem die Institution Gott mehr oder weniger mit der Institution Kapital identisch ist.
Und viertens, weil das hier überhaupt nicht die Situation ist, in der ich die Großmütterchen schocken möchte, die gerade noch ihre Kommunion empfangen haben, und sie auch nicht mit meiner Lebenshaltung provozieren will. Ich will einfach nur die Erzählung lesen und mich bei den Organisatoren für die Einladung und das Stipendium bedanken.
Und fünftens schließlich, weil alle darauf achten, welchen Kommentar ich abgeben werde, und ich nicht etwa „Ach du Scheiße“ und nicht einmal „Zum Teufel“ sagen kann, nicht einen jener spontanen Kommentare, die natürlich das Problem nicht lösen würden, die aber zumindest einen Hauch von Humor in diese Situation einbringen könnten.
Wie auch immer, während des ersten Liedes, mit dem feierlich in das literarische Programm eingeführt wird, streiche ich panisch Textteile, werfe Schmipfwörter hinaus, anstelle von „Scheiße“ schreibe ich „Schade“ oder anstelle von „verdammt“ schreibe ich „schrecklich“ oder anstelle des Satzes „Wir waren Liebende“ schreibe ich „Wir waren uns nah“, das heißt, ich quäle mich mit Anständigkeiten herum. Ich versuche sogar, aus dem weiblichen Genus etwas Geschlechtsloses oder Mehrgeschlechtliches zu konstruieren, als handele es sich um Schnecken. Als es so weit ist, lese ich nur ein paar extrem kurze Abschnitte, und dazwischen erzähle ich den Text nach, abstrahiere dabei den Inhalt und spreche nur von unbestimmten, flexiblen Modellen der Liebe. Ich achte auf mein Vokabular und improvisiere. Die Großmütterchen, Maria und alle anderen sind zufrieden.
Und jetzt sind wir also wieder in Istrien. Wir sitzen auf der Terrasse des halbleeren Hotels, von der aus man gut den Sonnenuntergang über dem Leuchtturm der Insel Sv. Ivan Na Pučini (“Heiliger Johannes auf dem Meer”) sehen kann. Es handelt sich um ein ungreifbares Schillern rosaroter und apricot und hellblauer Farben. Der Abend ist der reinste Kitsch.
Ich erzähle Petercol, worüber beim round table gesprochen wurde. Jenem round table The Author Between Text and Context.
Er fragt mich, worüber ich gesprochen habe. Über den Autor? Über den Text? Oder den Kontext?
Ich antworte, dass ich über jenes dazwischen gesprochen habe. Über das Between. Über die Position, in der sich der Autor befinden sollte und die nie in einem fixen Punkt zusammen läuft. Damit geht seine beiläufige scherzhafte Frage in einen flammenden Monolog meinerseits über. Ich kann mir nicht helfen. Doch das kommt daher, weil sich das Wie und das Was meines Schreibens eben um diesen nicht fixierten Punkt drehen. Ich versuche dynamische Positionen, aus denen ich sprechen kann, zu finden. Zum Beispiel steht in Rose is a rose is a rose is a rose anstelle einer einführenden Regieanweisung eine bestimmte Rezeptur, mit der ich mögliche Positionen auseinander dividieren möchte, um somit konsequent die Verhältnisse innerhalb des konkreten Raumes der Aufführung zu verkomplizieren. So beginnt der Text mit den Worten:
Ich und du. Er und sie. Manchmal wir. Manchmal sie. Aber immer dieselben.
Auf der Bühne. Auf der Tanzfläche. Auf der Straße. Auf der zehnten Etage eines Hochhauses.
Gerade jetzt. Auch viel später noch. Auch schon vorher. In der Erinnerung.
Wir drehen uns um die ausgebrannte Stätte der Katastrophe. Um den Text. Um mich.
Dieses „mich“, dieses „ich“ eines Autors sollte immer entrücken. Wie in den autoreferentiellen Lesungen, in denen ich meine eigenen Dramentexte aufgeführt habe. Die Dynamik dieser Vorstellungen hing ausschließlich von meiner Fähigkeit ab, aus einer Position der Autorenschaft in eine andere zu springen, die vage von der ersten getrennt ist; von der Schriftstellerin in die Darstellerin, von der Darstellerin in die Heldin, in alle Richtungen, dabei sowohl den Raum wie auch die Motivation wie auch die Referenzfelder wechselnd und sich zwischen den durchlässigen Positionen bewegend: der Position der Frau, die den Text geschrieben hat, jener, die ihn vorträgt, und jener, über die gesprochen wird.
Unklar. Unstet. Unsicher.
Das heißt Between.
Von etwas sehr Ähnlichem sprechen Deleuze und Guattari, wenn sie darüber schreiben, dass man an der eigenen Nicht-Fassbarkeit (wie im intimen Raum der Kunst, so auch im öffentlichen Raum der Kultur) arbeiten muss und sich abseits der fixierten diskursiven Modelle halten soll, außerhalb von Ideologien und den Ökonomien des gesellschaftlichen Raumes, wobei sie behaupten, dass die wahre Kunst sich selbst eine Bombe legen muss. Deshalb verwenden Deleuze und Guattari, wenn sie von Literatur sprechen, ein Vokabular, in dem es von bestimmten Verben nur so wimmelt: zerstören, durchbrechen, zerbersten, zerschlagen, entwischen…; dieses Vokabular hinterlässt den Eindruck, dass der Schaffensprozess ohne ein gewisses Quantum an Gewalt gegenüber ideologischen, marktwirtschaftlichen, ästhetischen und ethischen Zeichen undenkbar sei, die diesen Prozess einem bestimmten Sysetm zuordnen könnten und ihm Positionen, Ideale oder Ziele aufzwingen würden, in denen der Text vollendet sein könnte. Gestorben sein könnte.
Es scheint, dass die Unsichtbarkeit und die Unfassbarkeit ein Teil des Schaffens selbst ist.
Das Tragen einer Bombe, eng an den Körper gebunden, ebenfalls.
Über dem Leuchtturm auf der Insel Sv. Ivan Na Pučini tritt die Abenddämmerung in die letzte Phase vor der Nacht. Dieses Bild trage ich schon seit Jahren auf dem Desktop meines Laptops mit mir herum.
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer