Autoren Archiv

What do you think?

2. 10. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

ich: es ist zeit nach graz zurückzukehren.

lotte: hast du getrunken?

ich: es ist dienstlich, es ist herbst, im graz trifft sich die kunst auf einen verlängerten!

lotte: wirst du jetzt die poetologie dahinter verraten?

ich: der trick ist: physisch bleibe ich hier. beziehungsweise circa hier. denn ich werde das haus verlassen, das ich für unsere familie mit diesen meinen händen in die iowanische erde gerammt habe, und ich werde auf den straßen um das haus oder sogar zwei blöcke weiter, passanten von graz erzählen. und vom herbst! und vom verlängerten!

lotte: graz interessiert keine sau.

ich: falsch! wenn man nicht weiß, was das ist, graz, kann es einen auch nicht nicht interessieren!

lotte: mein gott, ich.

ich: noch besser: ich werde studenten der university of iowa interviewen, ich werde sie kritisch zum herbst befragen, zu graz, zur mur! ja, die mur!

emilia: ich akzeptiere den enthusiasmus als gefühlszustand nicht. scheiß happyness. scheiß jubelei. was soll das?

ich: das absurdeste, was man in graz machen kann: auf dem hauptplatz eine rede über innsbruck halten.

29. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

sasaamkrater.jpg

Ich habe mich niemals so erdnah gefühlt wie in Island. Jetzt werden sich, ich weiß, all diejenigen sehr wundern, die mich in meiner sanften Aufgebrachtheit über alles Esoterische kennen, wenn ich mich der Worte “Kraft” und “Inneres” bediene, Achtung: Ich habe mich niemals so nah den originären, unaffektierten Kräften aus dem Erdinneren gefühlt wie in Island, umgeben von offenen Wunden, verheilten Narben und verkrustetem Blut des Planeten und seinem schweren, schwefligen Atem. Vulkane und Geysire, ernstzunehmende Wassermassenfälle, eine beruhigende Tierlosigkeit zwischen und über den schwarzen Felsen, diverse tektonische Verschiebungssensationen, dann Wind und Regen und Musiker wohin das Auge sieht. Es hat gebrodelt, gedampft, gespritzt, es hat nach faulen Eiern gerochen und das erstarrte Lavagestein war beteppicht mit Sporenpflanzen dunkelgrünem Moos, weich – so und jetzt ein Vergleich, auf den ich mich seit Tagen freue – wie das Isländische mit seinem auch irgendwie mit dunkelgrünem Moos beteppichten Klang; und außerdem gucken dich die Isländer an, wenn sie an dir vorbeilaufen, sie gucken dich an, wenn du mit ihnen auf Grün wartest, sie gucken dich neugierig an, wenn du dich mit ihnen betrinkst, das ist – nach zwei Wochen USA, wo, aufgrund der Bestimmungen über die sexuelle Belästigung, niemand niemanden anguckt (sicher ist sicher) – wie ein inneres Kamillebad für die Augen, meine waren seitdem nicht mehr gerötet.

mitcoetzee.JPG
Erstmal nur so viel über die naturliche Übermannung. Jedenfalls, wie auf dem Foto sehr unübersehbar zu sehen ist, haben mich auf meinen Spaziergängen in die Nähe zum Erdinneren (v. l. nach r.) Claudio Pozzani, J.M. Coetzee, Jonas Hassen Khemiri, Roddy Doyle und noch jemand begleitet. Auch Daniel Kehlmann ließ sich von dem tiefen Himmel zum Jauchzen verleiten; Robert Löhr, ein anderer, sehr sympathischer deutscher Autor, mochte sehr den Bach beim Haus des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness und tauchte die Hände hinein, was immer irgendwie schön ist, dieses Händetauchen in Bäche und auch das Sich-Danach-Gedanken-über-die-Bachtemperatur-machen. In Vorträgen prangerte Coetzee Unrecht und Zensur an, und die Niederländerin somalischer Herkunft Ayaan Hirsi Ali erzählte tief in der Nacht von einer Frau, die sehr enge Shorts getragen und sich für eine Muslimin gehalten habe. Ayaan Hirsi Ali lachte sehr laut über diese angebliche Muslimin tief in der Nacht. Yasmin Crowther las so hervorragend aus ihrem hervorragenden Debütroman, “Die Farbe von Safran”, dass ich ihr das ehrlich mitteilte, worauf allseitige Herzlichkeit und Freude und Kompliment ausbrachen.

verleger.JPG

Da aber auch Verleger, Agenten und Übersetzer mit in den Bussen saßen, die uns etwa zum isländischen Präsidenten brachten und zum Bürgermeister von Reykjavik, war das meistgesagte Wort des Festivals mit Abstand “publisher / publishing house”. Und weil darin so ein schön weicher “Sch”-Laut schlummert, schaukelte mich das PublischPublischRauschen auf jeder Strecke in den Schlaf. Ich träumte davon, dass Schriftsteller abseits aller Legenden, die sie um die eigene Person auftürmen, einfach mal sehr gerne in Immobilien investieren und Qualitätswaren kaufen möchten, für sich und vielleicht für ihre Freunde.

thor.JPG

Eine der positivsten, angenehmsten, erhellendsten Erscheinungen des Festivals war dieser Mann – Thor Vilhjálmsson, der trotz und wegen seines hohen Alters immer wieder die Gelegenheit nutzte, um auf den hohen Wert von Unerschrockenheit im Schreiben und Freundschaft im Nichtschreiben hinzuweisen, und vor allem, dass es umgekehrt genauso gilt: Freundschaften zwischen den Schreibenden wie sie auf einem Festival wie diesem entstehen können und die Unerschrockenheit im Leben, in der Recherche, in der Liebe, im gesellschaftlichen Engagement, zählen zu inneren und äußeren Stärken eines jeden Künstlers, machen sie sowohl seine Persönlichkeit, als auch seine Arbeit relevanter, kompletter, unvergesslicher.

shower.JPG
Aah, witzisch.

In der blue lagoon konnte man in den Matsch auf dem Grund des Sees greifen und fand Haare darin. Isländische Haare, amerikanische Haare, Haare japanischer Touristen. Leute schmierten sich den Brei ins Gesicht und schwammen so in der blue lagoon herum. Der Wind blies, sie unterhielten sich mit ernsten Mienen, graue Soße von unzähligen Schuppenflechtepatienten auf Stirn und Nase, ein Festival der internationalen Matschmasken mit Haar- und Hautzusatz.

Die Textur der Liebe

18. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

ich: ich glaube …

lotte: bitte nicht.

ich: erst zuhören, dann, wenn nötig, kommandieren.

lotte: reicht es nicht, dass dein schwanz immer nur halb gesteift ist und ständig aus mir fällt?

ich: ich habe keine bedenken meinem körper gegenüber.

lotte: ich habe keinen körper, in den dein nichtbedenken passt. ich will dich konzentrierter. ich glaube, ich brauche einen neuen körper für meine hände.

ich: ich glaube …

lotte: du bist mir nicht seltsam genug.

emilia: lieben bedeutet immer innerhalb und außerhalb der liebe zu stehen. abhängigkeiten und verlustgedanken und teamarbeit gilt es zu initiieren, aber es gilt auch, sie auch von außen zu beobachten und zu bewerten. die textur der liebe, wenn man also über ihre oberfläche streichen könnte, bestünde aus geschichten, die sich die liebenden zu erzählen haben. erinnerungen, erfahrungen etcetera.

ich: in diesem land ist immer krieg und umsturz.

emilia: nicht notieren und neuerfinden – sehen und sagen.

We’re all god’s creatures

7. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

ich: wir könnten mit emilia geld machen. tri-state rodeo in fort madison. ich denke an mutton bustin’. ‘the contest consists of the youngster riding a sheep out of a bucking chute and into the rodeo arena.’

lotte: es gibt keine notwendigkeit, emilia den homophoben, sexistischen kretins auszusetzen.

ich: komm schon. wir könnten kritische fotos von cowboy-hüten schießen und mit den familienvätern gespräche führen, die wir später unseren freunden voller abscheu und gleichzeitiger faszination referieren würden. wir könnten, wenn du willst, provokativ nicht mitbeten und beim stichwort ‘the greatest nation on earth’ die augen verdrehen.

lotte: es gibt keine notwendigkeit, pferden beim fallen zuzusehen.

ich: angestachelt von ihrem europäischen gefühl der intellektuellen überlegenheit, hätte emilia eine reelle siegchance auf dem schaaf.

lotte: nichts von dem, was du mir, so doppelt gebrochen, mitteilen möchtest, muss heute noch gesagt werden.

ich: wie hübsch sie mit dem helm aussehen würde.

emilia: wieviel kohle ist für mich drin?

ich: es geht um prestige und charme und die miss iowa wird da sein und du rutscht ab, so dass dein körper nach einigen metern unter und nicht mehr auf dem schaf hängen wird, du umklammerst das tier mit deinen ärmchen, und eine gute zeit sind fünfzehn sekunden.

emilia: let’s roll.

ich: let’s rock.