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das dauergrinsende berlin…

4. 9. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

treibt scherze mit mir. was ist? hasst du mich? ich wollte heute zu michael stavarics lesung gehen. wir haben uns sicher zwei jahre nicht gesehen, also such ich brav die adresse heraus, fahre dorthin, frage mich durch, bis ich die straße gefunden habe und dann: stehe ich vor einem wohnhaus! keine veranstaltung, keine bar, kein gar nix. und ich frage leute nach dem veranstaltungsort. und voilá: nach einer halben stunde blöd herumgefrage klärt mich jemand auf, dass es nicht nur eine bergstraße in berlin gibt, es gäbe derer zwei! ich hatte die postleitzahl bei der adressuche nicht mit eingegeben. in odessa passierte mir wo etwas nie. in odessa gibt es jede straße nur einmal und meist hat die auch gleich zwei namen. natürlich gewachsene städte. na wäh! zum speiben ist das! also zurück an den wannsee vor den computer und feststellen, dass michael eh schon längst liest. ich geh jetzt heiß duschen und fluche den restlichen abend auf berlin. hörst du mich? berlin!

man ist so freundlich – habe ich etwas im gesicht?

4. 9. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

ich habe an einer supermarktkasse ewig gebraucht, weil der scanner mit der simkarte, die ich kaufen wollte nichts anfangen konnte. ich sage dem kassierer, er könnte ja erstmal die wartende kundin hinter mir betreuen und sich dann um das nicht-funktionierende kümmern. ich hatte schon gerechnet von ihr angeschnauzt zu werden, glaubte aber, sie würde sich zurückhalten. ich habe ja zeit. klar, sollte man sich auch lassen, beim simkartenkauf (ich habe mich für diese simkarte, dieses anbieters entschieden, da sie auch mein lieblingsduschgel im regal hatten). die kundin bedankt sich überschwänglich bei mir und streichelt mir, nochmals danke sagend, beim hinausgehen die schulter und ich bin verstört. ich bin verstört ständig angelächelt zu werden, dass alle hilfsbereit und zuvorkommend sind und mit meiner österreichischen sozialisation und erziehung zum misstrauen denke ich mir: kann das denn sein? oder habe ich vielleicht irgendetwas im gesicht, essensreste oder ähnliches und man be-lächelt mich, anstatt mich anzulächeln. ein mitleidslächeln, oder eines aus schadenfreude. in österreich kennt man das dauergelächel aus höflichkeit. und wenn der andere sich umdreht, lässt man die mundwinkel entspannt fallen, man hat seine schuldigkeit getan. ich schaue also zurück – der kassier lächelt immer noch. ich lächle auch, ich bin ja höflich, wie man das in österreich wär. mein stirnrunzeln sieht nur der würscheltmann mit dem bunten schirm über dem Kopf, der die würschtel vor der tür des geschäfts in seinem bauchladen grillt. da lächelt auch der wieder und ich mache mich auf die suche nach einer spiegelnden oberfläche, stelle aber nichts ungewöhnliches in meinem gesicht fest. diese deutschen….das spiegelbild schüttelt den kopf. in der ukraine wäre das nochmal anders. wenn dort jemand so lächelt steht er oder sie vermutlich unter drogen. die pflicht eines ukrainischen kassierers ist es, ein gesicht zu machen, als hätte man ihn beleidigt. nicht zu lächeln, wenn jemand etwas im gesicht hat ist die kür. irgendetwas stimmt hier nicht. bei der abendveranstaltung im literarischen colloquium versuche ich mich anzupasssen, lächle großzügig nach links und rechts wie ein karussellpferdchen und habe angst vor dem drohenden wangenmuskelkater am nächsten tag, gesichtskrämpfen und dass mir das so bleiben könnte. ganz durchschaut habe ich es allerdings immer noch nicht.

der umzug

2. 9. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

irgendwie graut mir ja vor deutschland und vor den deutschen überhaupt. die sind so schrecklich deutsch, so unentspannt, so überpünktlich und korrekt sowieso. überfreundlich und unrussisch eben. und da soll ich drei monate bleiben. das ist also jetzt berlin, denke ich mir, mit einem dreiundzwanzig kilogramm schweren koffer voller befürchtungen in tegel ankommend. das kofferfördersystem ist das langsamste, dass ich je gesehen habe. und das soll nun etwas heißen. aber ich warte brav, bis ich den befürchtungskoffer weitertragen kann. das ist jetzt also berlin und der koffer wird immer schwerer, als ich aus der s-bahn aussteige und jemanden russisch reden höre.  als ich in die s-bahn einstieg kam ich an einer kindertagesstätte namens cheburashka vorbei. zufall, habe ich da noch gedacht. mit dem bild der russischen trickfilmfigur.

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das literarische colloquium ist ein schloss. eine übersetzungsstipendiatin hilft mir den koffer in den zweiten stock zu schleppen. der lift ist dauerkaputt und zweiter stock ist schon in ordnung – in odessa htte ich ja auch schon dauerkaputten lift bei zwölftem stock. ich fühle mich beruhigt, dadurch dass etwas nicht funktioniert.

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die cordula im märchenschloss mit luxuszimmer und prinzessin-auf-der-erbse-matratzen und blick auf die baustelle. ich meinte (hüstel): den see.

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kälter als in odessa ist es und ich sehe mir trotzdem die umgebung an. das nächste lokal ist der wannseehof. dort gibt es varenyky. wenn auch nicht so korrekt geschrieben, wie ich es erwartet hätte. berlin liegt wohl wirklich im osten.

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прощай

27. 8. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

ich weigere mich zu packen. ich habe keine lust, denn sobald ich packe wird es echt. dann rückt es erst näher. und ich muss odessa verlassen um die nächsten monate in berlin zu verbringen. ich weiß nicht, ob ich einen guten deal gemacht habe. denn ich werde odessa vermissen. die wunderschönen abgefuckten prachtstraßen, die stöckelschuhe auf pflastersteinen, die nicht nur beine, sondern auch herzen brechen können. die männer, die einem türen aufhalten, in den mantel helfen, in der straßenbahn für mich aufstehen und mir einen arm anbieten, wenn ich halbrecherische schuhe trage, da mir die übung fehlt. ich werde vermissen, dass bauarbeiter höflich sind und den salzigen geruch, den der wind zwischen die straßen treibt, ja, das meer und was es mit sich bringt. auch die seeleute, die einen nach dem weg fragen und froh sind, jemanden getroffen zu haben, der englisch kann und sich dann ganz schrecklich wundern, dass man in einem land geboren werden konnte, das kein meer hat. zum trost schenken sie mir geschichten. ich werde die supermärkte vermissen, die rund um die uhr geöffnet haben und wie in odessa gewaschene wäsche über die straßen gehängt und schmutze wäsche auf der straße ausgebreitet wird. die acht meter breiten gehsteige, auf denen platz für schlangenlinien ist und die unverbarrikardierbar sind. ich werde vermissen, zuzuschauen wie die odessamama jeden mit offenen armen empfängt, der sich darauf einlässt und jeden der seine vorurteile bestätigt haben möchte umgehend dafür bestraft, wie eine mutter, die dem kind auf die finger klopft. ich werde die schlaglöcher in den straßen vermissen, aus denen manchmal musik zu kommen scheint.die kaffeehäuser und dass man hier keine eile hat. die strandstimmen, die “kaltes bier”, “süßer heißer mais” oder “shrimps” rufen, die man nur näher zu winken scheint. sogar meine kioskfrau werde ich vermissen, in ihrem blümchenkleid, dass mich an homer simpson erinnert, als er zuhause arbeitet – ebenso dick ist sie auch und ich weiß gar nicht, wie sie in ihren kiosk hineinkommt. wenn ich nur wenige wochen weg bin schnauzt sie mich an: “wo bist du gewesen, mädchen?” und ich stelle mir vor, dass sie sich gar nicht vom fleck bewegt hat, oder sie trägt ihren kiosk mit sich mit, als würde sie einen rock anheben. vielleicht geht sie damit manchmal zum hafen hinunter und segelt ein stück damit. ich werde die hunde vermissen, die straßenköter, die mich nachts begleiten, als sei es ihre aufgabe auf mich aufzupassen und böse werden, wenn ich neben dem zebrastreifen über die straße gehe anstatt darauf, oder abends auf dem treppenabsatz meines wohnhauses thronen wie bestellte wächter. mein rudel, das mit den kindern im haus fröhlich kläffend um die wette läuft. auch die markthunde, die dicker sind als alle anderen und die märkte, auf denen man sich durchkosten kann. die katzen in den buchläden und den obstständen, die sich nicht verkaufen lassen. den luxus werde ich vermissen und den dreck. die odessitische hitze und im winter das eingefrorene meer. die kalten sätze und warmen umarmungen. ganz bestimmt packe ich meinen koffer noch. aber berlin, sei gut zu mir. denn hierher zurück packt er sich von allein.