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Tim Etchells hat Geburtstag

20. 7. 2017 // // Kategorie Randnotizen 2017

Es gibt Momente, wo einer zugegeben miserablen Nutzerin von Facebook wie mir dieses umstrittene Medium Freude bereitet. Heute zum Beispiel, wo ich an den Geburtstag von Tim Etchells erinnert werde.
Tim, ein Künstler, den ich seit Beginn meines Arbeitens mit internationaler Performance, viele großartige, lebensverändernde Theatererfahrungen verdanke. Tim, mit dem ich viel und dennoch immer viel zu wenig zusammengearbeitet habe. Er hat 2012 einen wundervollen Text über Festivals, ein “Alphabet of Festivals” geschrieben, der mir in jeder Zeile nahe ist. Ausgehend von der nächtlichen, einsamen Erfahrung eines Künstlers in einem leeren und lieblosen Festivalzentrum, das die Leere und Unbelebtheit durch ohrenbetäubende Musik wettzumachen versucht, träumt er von dem, was ein Festival sein müsste:

Alphabet of Festivals (Auzug)

A Festival Of Slow Time
 
A Festival Of Mischief
A Festival Of Madness
A Festival Of Forgetting
A Festival Of Freedom
 
A Festival Of War
 
A Festival Of Summer & Winter
A Festival Of Lies
A Festival Of The Predictably Unpredictable
A Festival Of Hope
 
A Festival of Intransigence
A Festival of Free Fall
A Festival of Revolution
A Festival of Coincidences
A Festival of Second Chances
A Festival of Speaking in Tongues
A Festival of Ghost Ships
 
A Festival of Nonesense
 
A Festival of Heartbreak
A Festival of Statutory Requirements
 
A Festival of Shivering
 
A Festival of Shimmering
 
A Festival Of Private Conversations
A Festival Of The Never Seen Before
 
A Festival Of Booze
 
A Festival of Festivity
 
A Festival Of Memory
A Festival Of Barking Dogs
A Festival Of The Unknown
A Festival Of The Inevitable
 
A Festival of Magic
 
A Festival of Idiots
 
A Festival of Bad Driving
 
A Festival of Bald Men
 
A Festival Of Emptiness
A Festival Of Youth
A Festival Of Europe
 
A Festival Of Afterwards
A Festival of Before
 
A Festival of In-Between
 
A Festival of Circular Arguments
 
A Festival of Love
 
A Festival Of Falling
A Festival Of Night Terror
A Festival Of Anti-Terror
A Festival Of Sleeping Audiences
A Festival Of Ambience
A Festival Of Sponsors
A Festival Of Sponsors-Shit
A Festival Of Trepidation
 
A Festival Of Stasis
A Festival Of The Known
 
A Festival Of The Dismal
 
A Festival Of Screaming
 
A Festival of Bad Jokes
 
A Festival Of The Dangerous
 
A Festival Of Flesh
A Festival Of Heat
A Festival Of Experimental Surgery
 
A Festival Of Gunshots
 
A Festival Of Colonies
 
A Festival of Car Alarms
 
A Festival Of Oppression
 
A Festival Of Champagne
 
A Festival Of Spring
 
A Festival Of Water
 
A Festival Of Fire
 
A Festival Of Fracture
 
A Festival Of Fault Lines
 
A Festival Of Subterfuge
 
A Festival of Forgery
 
A Festival of Games
 
A Festival of Data
 
A Festival of Dada
A Festival of Mazes
 
A Festival of Robots
 
A Festival of Solutions
 
A Festival of Waiting
A Festival of Impatience
A Festival of Age
 
A Festival of the Almost Impossible
 
A Festival of the Also-Rans
 
A Festival of the Borrowed
A Festival of the Dead
 
A Festival of Explosions
 
A Festival of Implosions
 
A Festival of Industry
A Festival of the Wrong Things
A Festival of Bad Timing
 
A Festival of Goodbyes
 
A Festival of Graffiti
 
A Festival of Whispers
A Festival of Dreams
A Festival of Wasteground
A Festival of Smoke & Mirrors
A Festival of Ice
A Festival of Public Laughter
A Festival Of Shit & Piss
 
A Festival of Shadows
A Festival Of Blood Tests
A Festival Of Rules
A Festival Of Waste
A Festival of Secrets
 
A Festival Without Sense
A Festival Without Artists
A Festival Without Programmers
A Festival Without Audience
 
A Festival Without Programme
A Festival Without Venues
 
A Festival Without Borders
A Festival Without End
 

UND DAS BESTE AN DIESEM TAG – Tim kommt.

Loop I: Wien-Graz-Wien-Graz-Wien-Graz-Wien-Graz-Wien-Graz

14. 6. 2017 // // Kategorie Randnotizen 2017

Drei Wochen später. Ein Programmbuch später. Einige Reisen später. Darunter 14 Reisen zwischen Graz und Wien mit dem Zug. In die eine oder in die andere Richtung. 196 km mal 14, 2744 km. Allein gestern und heute hin und zurück.

Der Morgenzug um 7 Uhr früh – der beste, keine tschechischen Wagons, die immer schlechter sind als die österreichischen Railjets. Ceské dráhy. Und die Ansage, die auf Tschechisch die nächste Station verkündet, Príští stanice Mürzzuschlag. Aber dafür heißt es um 05:30 aus dem wohligen Bett. Oder, dann eben den Zug um 8 Uhr nehmen, den mit leicht altösterreichischem Flair. Das ehemalige Kronland, mit Zugspersonal, das einen mit seinen Deutsch-Kenntnissen immer beschämt, während man selbst keinen Satz tschechisch kann. Ignorantin.

Die Landschaft irrlichtert im Augenwinkel an mir vorbei. Ein zweieinhalbstündiger Film, am Semmering ein rhythmischer Wechsel von Licht und Schatten, Bäume, Sträucher in tausenden Grünschattierungen. Ich ertappe mich, wie der Blick an den immer gleichen Stellen sich vom Bildschirm des Laptops hebt. Als ob da etwas rufen würde. Ein Stolpern im Blick oder im Versunken-Sein in Texte, Mails, Nachrichten, in Musik.

Dann im Mürztal oder in der Talenge nach Bruck – die einzelnen Häuser mit ihren perfekt gemähten Rasen. In all den Jahren versuche ich Menschen beim Leben zu ertappen, spähe in Wohnzimmer mit ihren drapierten Gardinen, in Küchen mit gehäkelten Stores…. einmal ein Ausschnitt von einem Gartenfest, einmal spielende Kinder, Plantschen im Billig-Pool oder auch beim Mähen des Rasens. Nichts. Einfach Nichts. Gespenstisch. Vielleicht liegt es an der Tageszeit, da sind alle weg, bei der Arbeit, in der Schule. Hoffentlich. Was aber, wenn in den Schulen, in den Ämtern, Kirchen, Gasthäusern auch niemand ist?

Aber vielleicht bin ich ebenso unsichtbar – eine Bewohnerin eines Geisterzugs, ein Wurm in der Ferne, der die Landschaft durchschlängelt.

the boat is leaking, the capitain lied

18. 5. 2017 // // Kategorie Randnotizen 2017

Den Anfang machen – mit einer tiefen Verbeugung. Zum Beispiel vor einem unmittelbaren Vorgänger bei den Randnotizen. – Daniel Wisser. Der zuletzt seinerseits im Nachklang der Nobelpreisdebatte Bob Dylan, The Beatles, Zappa und andere als Dichter beschrieben hat. Dem ich längst zurückschreiben wollte. Jetzt hat er aber in der Millionenshow -wie ich gehört habe, viel Geld abgeholt. Sehr gut so. Der Name ist ja quasi Programm. Löwen in der Einöde – auch ein Buch, das mich wartend anschaut…

Zu einem anderen Dichter und Sänger, der, ob nobel oder nicht, in jedem Fall preiswürdig ist – Leonard Cohen.

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Ein Zitat aus einem Lied von ihm prangt  zur Zeit an einigen Vaporettos und an der Fassade der Fondazione Prada am Canale Grande in Venedig – THE BOAT IS LEAKING. THE CAPTAIN LIED. Wie treffend. Ausgangspunkt einer in der Tat wunder-vollen Ausstellung in der Fondazione Prada von Alexander Kluge, Anna Viebrock und Thomas Demand. Ein so durchdachtes, auf den jeweiligen künstlerischen Kosmos des anderen eingehendes Ausstellungskonzept, eine sinnliche wie politische Erfahrung. Was alle eint, ist das Interesse an Nebenschauplätzen der Geschichte, an Archiven, die Vergangenes ganz Gegenwart werden lassen. Räume, teilweise neu gebaut aus zerlegten, benutzten Bühnenbildern, die einen Parcours durch verschiedene Orte gemeinsamer Erfahrung – einem Kino, einem Theater, dem Zirkus – schaffen. Dazu die Verbindung zu den erstaunlichen Bildern eines Angelo Morbelli. Eine Entdeckung seine Serie über das Männer-Hospiz Trivulzio in Mailand. Insgesamt gehört diese Installation in der Fondazione zum Besten, was ich seit langem gesehen habe. Eine Schule des Sehens, Wahrnehmens, des Denkens.

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Das letzte Wort hat der Dichter –

Everybody knows that the dice are loaded
Everybody rolls with their fingers crossed
Everybody knows that the war is over
Everybody knows the good guys lost
Everybody knows the fight was fixed
The poor stay poor, the rich get rich
That’s how it goes
Everybody knowsEverybody knows that the boat is leaking
Everybody knows that the captain lied
Everybody got this broken feeling
Like their father or their dog just died…..
…to be continued.