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waste #2: sechshundert Kameras, und dennoch bekommt dich der movie plot

15. 6. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

Dirty Control Outtake

[youtube K5WnFV71ALY]

Sounds: Matthias Grübel

Video: phonofix [Jörg Albrecht & Matthias Grübel]

Voices: Janna Horstmann, Patrick Güldenberg, Steffen Klewar

Faces: Anne Betting, Nadine Hefler, Wilma Renfordt, Martyna Starosta, Jörg Albrecht, Matthias Grübel, Michael Ruiz

waste #1: Blackout/Burnout

1. 6. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

blackout_burnout_grind

Guten Abend. Guten. Guten Abend. Zuende. Leider unerwartet zuende, verbrannt, nein, verschmort, nur verschmort, Sicherheitsfilm. Diese Sicherheit bringt uns, daß mein Vorführraum nicht abbrennt, wenn der Film brennt, durchbrennt, weil er rauswill ins Leben. Bevor Sie ihm folgen, erzähle ich kurz, ganz kurz, was im Streifen weiter passiert, Sie müssen ja wissen, wen sie verfolgen, als Stalker dieses Films. Keine Angst, die Kameras um Sie herum sind aus. Die Bilder werden nur zweiundsiebzig Stunden aufbewahrt, sind meist schon gelöscht, oder Sie sehen nichts, nichts, nur Licht. Da kann ich auch gleich selbst ins Kino gehen statt vor den Monitor, da weiß man auch nie, in welchen Film man stolpert, in welches der Grindhouses dieser Grindtown. Unten: New York’s 42nd Street and its grindhouses 1969. Mitte: Schmuddelkinos in St. Pauli 1989. Oben: Münchner Maximilianstraße auf dem Weg in ein neues Exploitation-Zeitalter 2009. Kinos, die seit Jahrhunderten geschlossen scheinen, mit fleckiger Eleganz, riesigen Balkonen, Samtvorhängen, Opernsitzen, mit Treppen, die sich so oft winden und dann doch nicht enden, daß du nie weißt, wer nach der nächsten Biegung lauert, ein schlechter movie plot oder. Oder. Ein neues Zeitalter. Oder. Ein Alter mit einer Polaroidcamera um den Hals. Oder einfach das Leben als Permanentschock, in den wildesten, extremsten Filmen der Filmgeschichte, wie es die Poster und Trailer versprechen. Wenn die Filme die Versprechen nicht halten: Rufe, Tritte, Messerattacken gegen Sessel und Leinwände. Um mich herum Menschen, die sich mit den Menschen auf der Leinwand unterhalten, ohne Abgrenzung, nicht: hier die Beobachter, dort die Beobachteten, nur: Frage und Antwort, Frage, Antwort, Frage. Wundert doch niemand, daß Exploitationfilme nicht nur eine Fassung haben, sondern viele, kaum zählbar viele, so daß einige Zuschauer sich an Szenen erinnern, die andere nie sahen, viele verschiedene Fassungen. Eine Fassung mit mehr Gewalt, bei der du eine Gratistüte an der Kasse bekommst, falls du dich übergeben mußt, dich dem Film übergibst in diesem Moment, vollständig. Eine Fassung mit mehr Horror, schau mal aufs Ticket: Lebensversicherung, falls du stirbst vor Schreck. Eine Fassung, die nicht versucht, zu löschen, was unvorhersehbar ist: das lebendige Leben. Dann lieber: Ausbeutung unseres Lebens, dem Chaos der Filme immer ähnlicher, in Zuckungen, in Sprüngen. Und die Straßen vor den Kinos: genau so, wie Straßen für mich aussehen müssen, eine Welt für sich, neonbeleuchtet [neon light was guiding me], Neonwelt, wo Menschen oft ihre Fassung verlieren, die Fassung, die ihnen jahrzehntelang auferlegt worden ist. Ich habs geliebt. Den ganzen Schmutz und all das, auf der Linse, auf den Menschen, in der Luft, unerwünschte Geräusche im Zuschauerraum oder vom Projektor. Ich vermisse das. Pro Nacht zwei Filme, drei, vier Filme zum Preis von einem, dann, um 5.32 Uhr wachst du auf, sie schicken dich raus, du spazierst einmal um den Block, neunzig Minuten, und dann kommst du wieder zurück. Und du weißt: Du nimmst dein Leben in die Hand, beim Eintritt ins Kino. Wirst du überleben? Wirst du die Trommelfelle zerfetzt bekommen? Wirst du verloren gehen, ohne daß irgend jemand sagen kann: Auf dem Video ist genau das zu sehen? Ich vermisse das, ja, wirklich, give me my fucking grindhouse back! Ich vermisse es, verloren zu gehen, ohne zu wissen, wohin. Vielleicht in unbewohnbare Zonen dieser Stadt, in ein verwerfliches Außen, das eigentlich in uns liegt, als Zurückweisung der finalen Filmfassung, Film: Fassung, Identität, die man uns erzählt hat, jahrzehntelang, dem Leben abgetrotzte Geschichte. Das Gefühl, verfolgt zu werden, auf Blick und Klick. The right to be alone? Nein! The right to be let alone, und vor allem: the right to be together, wie Filme im Kino, seltsam privat in der Öffentlichkeit. Statt dessen: Grindtown, ein Kino so groß wie eine Stadt, Stadt so groß wie ein Kino, viereinhalb Millionen Kameras, drei pro Mensch. Kameras, die der Zeit vorauseilen, um vorbereitet zu sein für die Zukunft. Aber brauche ich drei Kameras für meinen Körper, um Verbrechen, die jemand an mir begeht, zu speichern? Wozu habe ich meine Haut und ihre Schnittstellen? Ein Film, der auf solche Schnittstellen abzielt, der auf Haut und Haar abzielt, Leben freisetzt. Die Möglichkeit, offen mit dir zu kommunizieren, das Messer nicht hinterm Rücken, sondern an der Haut, so daß wir direkt verbunden sind, ohne final cut. Danke an die Siebziger, die Achtziger, Neunziger, ihr habt uns gezeigt, oder eure Slasher: Wir sind nicht unteilbar, sondern gut und leicht und detailliert zu teilen, manchmal reicht ein Cut, gut zu teilen, gut, gut zu teilen, nur zerteilt können wir die Einheit sein, die wir sein wollen. Nur der Slasher selbst nicht, weil er nie geteilt war, immer schon verteilt, mal hier, mal da, mal dort, dann: HIER! Technologien, die sich verteilen, ehe sie entwickelt sind. Und ich dachte, damit würde es enden. Immer dachte ich, mit dieser Aufnahme wird es enden, aber wenn ich an die Daten denke, die lebenden Daten, Fingerabdrücke, Irisabdrücke, die darauf warten, neue scream queens zu finden. Ein Datenfilm, der jetzt startet. Als erste Szene die letzte drehen. Den Schluß des Films an den Anfang setzen. Den zweiten Doublefeaturefilm in den ersten setzen, so viele Filme in einem, einem, in mir. Grindtown. In diesem Artikel fehlen folgende Informationen: Handlung knapp bemessen, und: Wie endet der Film? Blackout? Burnout? Way out: Auswege/Ausgänge, nur. Wenn wir den Notausgangsschildern folgen, kommen wir nicht raus aus der Not, sondern immer tiefer rein, in DIE finale Fassung. Kein final cut, bitte, kein final girl, keine final world mit final word, diesem letzten Wort müssen wir zuvorkommen! Eine final world, in der Identität als Slasher eindringt, in meinen Raum, aber: Überraschung! Nach dem final final cut kommt der cut together. Unsere Körper, dynamic plot bodies, ohne feste Organe, ohne Scriptwriter, gemeinsamer Körper, den wir gemeinsam erforschen, um zu wissen, wer wir sein können, nein, werden können. Nich für andere denken, eher anfangen, unser Wir neu zu denken, und davor: dein eigenes Wir zu denken. Kannst du dich auseinanderhalten, auf dem Film?  Etwas, das mehr ist als wir, weil wir es werden, in jedem Moment, der Geschichte abgetrotztes Leben, wir, in einem Jahrzehnte lang aufgehobenen Gegenschuß, just a recording of our body. Script discontinuity, so daß kein Plot meinen Körper in die Hände nimmt und sagt: Laß mich dein Leben leben! Dein Leben als meins? Zwei zum Preis von keinem? Heyhey! Brauchen wir ein Leben, um zu lernen, wie wir leben müßten? Was wir lieben müßten? Yeyyey! Lieben, unter Einsatz eines Lebens, das uns noch nicht geantwortet hat, nie. This life is my work. Lebensversicherung, falls dir jemand nachstellt, um dich nachzustellen, und du bemerkst: Ich hab nur Cameoauftritte in meinem Leben. Ja, Hauptdarsteller müßte man sein. It’s time to ring myself. Wenn wir sichtbar sind. Wenn wir nicht mehr sichtbarer werden können. Wenn alles zu sehen ist, alles, dann. Dann werden wir unsichtbar. LIFE! Coming soon to a theatre near you, very very near, in you. Life, the sequel you’re dying for. Life: so permanent. Taglines, die Wirklichkeit werden. Taglines, die Wirklichkeit sind. Taglines wie diese: Das Ende kommt plötzlich und als Still. Jetzt. STILL!

unshown sequence from: laß mich dein Leben leben! [Dirty Control 2], directed by Roger Vontobel, Münchner Kammerspiele 2009

film still by Andreas Pohlmann [Sebastian Weber, Tabea Bettin, Oliver Mallison, Tanja Schleiff]

film still by Andreas Pohlmann [Sebastian Weber, Tabea Bettin, Oliver Mallison, Tanja Schleiff]

Liebe in Zeiten der Fehlermeldung

15. 5. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

[youtube xtBijmbS7G8]