Ich kann nicht schlafen.

9. 6. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

Buenos Aires, 6. Juni.

Die ersten schlaflosen Nächte, an die ich mich erinnern kann, hatte ich als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Nachts, im Bett, legte ich mir die Hand auf die Brust um meine Herzschläge zu zählen. Ich war überzeugt, dass mein Herz eine nicht richtig funktionierende Maschine war, die jeden Moment stehen bleiben würde. Meine Mutter erzählt, dass ich eines nachts im Pyjama zu ihr ins Bett kam und sagte, dass ich mein Herz nicht hören würde und bestimmt schon tot sei.
Als ich älter war, elf oder zwölf, ließ ich immer das Licht im Badezimmer brennen, weil ich die Dunkelheit hasste. Manchmal hörte ich Stimmen, die aus dem Inneren des Kopfkissens kamen und schrie nach meiner Mutter um Hilfe. Meine Mutter legte sich dann neben mich wie ein großer runder Wal, und ich schlang meine kurzen, dünnen Ärmchen um sie. Der Körper meiner Mutter war wie eine kugelsichere Weste gegen die Angst. In den Nächten, in denen meine Mutter auf meine Rufe nicht reagierte, schlüpfte ich in’s Bett meiner Schwester, das bei mir im Zimmer stand. Wenn sie schlief, machte es ihr nichts aus, aber sobald sie aufwachte, versetzte sie mir Fußtritte bis ich aus dem Bett fiel.
Aus meiner Zeit als Heranwachsende kann ich mich an keine Schlafprobleme erinnern, weil ich nie schlief. Ich ging frühestens um zwei Uhr morgens ins Bett und stand um halb sieben wieder auf, um in die Schule zu gehen. Manche Nächte probte ich außerdem mit einer post-nuklearen Bluesband von 12 Uhr nachts bis drei Uhr morgens. Die Band hieß ‘Volcó Magoya’ und setzte sich zusammen aus vier dreißigjährigen Whisky-Trinkern und mir, einem sechzehnjährigen Gör, das seine Eltern belog, um Songs mit Titeln wie ¨Wo ist Elvis?¨ , ¨City of Pain ¨ und anderen noch schlimmeren, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, zu singen. Damals schlief ich immer im Unterricht ein. Ich erinnere mich noch wie ein Mathematiklehrer, der mich mit dem Kopf auf die Hand gestützt schlafend erwischte, meinen Ellbogen anstupste und ich mit dem Kopf auf die Tischplatte fiel.
Jetzt, mit dreißig, habe ich immer noch Schlafprobleme. Ich kann oft nicht schlafen weil ich denke, wenn ich die Augen zu mache, werde ich als alte Frau aufwachen; aber im selben Augenblick in dem ich es denke … paff!.. bin ich schon alt und erinnere mich gerade daran, wie ich als junge Frau Angst hatte, die Augen zu schließen und genau so aufzuwachen. Vor kurzem habe ich einen Roman von Kurt Vonnegut gelesen. Dort kommt eine Figur vor, der etwas Ähnliches passiert und die entdeckt, dass es die Zeit nicht gibt; dass sie gleichzeitig Baby und Kadaver ist und beliebig in ihrem Leben vor- und zurückgehen kann, wenn sie nur die Augen zu macht.
In den letzten Wochen habe ich schlecht geschlafen. Deshalb habe ich heute beschlossen, ein neues Mittel gegen die Schlaflosigkeit auszuprobieren und bin um zehn Uhr abends ins Hallenbad schwimmen gegangen. Im nächtlichen Schwimmbecken waren 4 Männer und ich. Mit dem Ablauf meiner Bahnen und der Minuten leerte sich das Becken bis ich allein zurückblieb. Durch den Dampf drang Radiomusik, die Hitliste der Top 40 oder so etwas. Immer wenn ich den Kopf zum Atmen aus dem Wasser hob, hörte ich alte Liebeslieder. Danach bin ich mit nassen Haaren nach Hause gegangen und habe Nudeln gekocht.
Jetzt ist es ein Uhr vierundzwanzig und ich muss aufhören zu schreiben und ins Bett gehen. Die Arme sind ein bisschen schwer geworden durch die Anstrengung bei den Schwimmzügen und meine Augen sind gerötet. Ich hoffe ich kann schlafen und träumen immer jung zu sein.

Lola Arias

Übersetzung: Margit Schmohl