Im Jahr 1566

13. 9. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Auf der Insel vergehen die Tage langsam, gleichmäßig und im Schatten. Ich gehe selten am Nachmittag aus, und sogar dann, wenn ich ausgehe, bleibe ich in der so genannten unteren Straße, die parallel zur glühenden Uferpromenade verläuft. Veljko hat mir erklärt, dass einst Pozessionen anlässlich religiöser Feiertage durch diese Straße zogen. Deshalb gibt es entlang der Straße dreizehn Stellen, kleine heilige Stätten, die in Hausnischen eingemeißelt sind, in denen unter Heiligenfiguren kleine Lichter brennen. Die Schänke, in der ich abends Wein trinke, befindet sich genau gegenüber einer dieser Stellen, der mit einem weißen Figürchen, das Maria darstellt, und zwei Orchideen. Petercol rekonstruierte den lateinischen Text, der unter der Nische eingemeißelt ist:

Herr Jesus Christ, der du am Kreuze hingst und dein Blut für die menschliche Natur vergossest, erbarme dich deines Volkes 1566.

Natura humana. Dieser Ausdruck ist für diese Art religiöser Inschriften nicht üblich. Veljko erklärt mir, dass das deshalb so sei, weil der adelige Dichter Petar Hektorović diese Inschrift hier einmeißeln ließ, der legendäre Vertreter der kroatischen Renaissanceliteratur und Erbauer der imposanten befestigten Villa inmitten von Pharos. Im Atrium seiner Villa, über dem Loch, in das die Nachttöpfe entleert wurden, steht auf einem Rundbogen geschrieben: Wenn du siehst, was du bist – warum bist du dann überheblich?

Si te nosti cur superbis.

Bis spät in die Nacht sitzen wir an die Mauer der unteren Straße gelehnt. Wir wachen und trinken Wein. Man sagt, dass man hier beim Trinken nicht die Liter sondern die Stunden zählt. Vor einigen Tagen hat eine Touristin ihr Bewusstsein ausgerechnet an unserem Posten verloren, das heißt – vor unserer Schänke. Der Wirt Boško hat den Notarzt gerufen. Man riet ihm am Telefon, dass das Mädchen, das schon wieder langsam zu sich kam, nicht aufstehen solle. Sie lag mitten auf der unteren Straße, mit den Beinen auf einem Stuhl. Bald kam der Arzt mit zwei Sanitätern heran spaziert. Sie gingen direkt an die Theke, bestellten eine Limonade und drei Bier, kamen wieder heraus, setzten sich neben das Mädchen, für sie war die Limonade, und sie tranken noch eine halbe Stunde lang Bier und unterhielten sich mit Boško über die Ergebnisse der Olympiade. Sie wandten sich erst an die Patientin, als sie ihre Flaschen geleert hatten. Sie sagten ihr, dass sie nun aufstehen solle, und fragten sie, ob sie sich immer noch schwach fühle. Und sie sagte, ja, ein wenig, und fragte, ob nun alles in Ordnung sein werde. Sie versprachen es ihr.

In den Volksstücken, die noch heute auf der Insel gespielt werden, spielt der Arzt eine der stereotypen Hauptrollen. Ähnlich wie in der Tradition der commedia dell’ arte ist es eine Grundeigenschaft dieser Gestalt, nicht heilen zu können.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer