Im Freien

30. 6. 2009 // // Kategorie Randnotizen 2009

am zweiten Tag in der schweizerischen Schreibruhe (es müsste eigentlich „Schreibtruhe“ heißen : zierlich, entfernt an Bauhaus erinnernd und an eine schlichte Puppenstube sind die Zimmer in das alte Gemäuer eingefügt) habe ich bereits das Gefühl, im Text, an dem ich arbeite, angekommen zu sein, herumzugehen, zu schauen, Räume wieder inspizieren, neu vermessen und Pläne : Anbau hier, diese Etage aufstocken, einiges kommt wieder weg, Abriss wohlüberlegt, geht aber trotzdem blitzschnell und der Blick auf das Ganze stellt sich ein, viel schneller als erwartet. Angekommen im Sinne von : hier kenn ich mich aus, weiß ich zirka, wo ich abbiegen muss usw. Ich arbeite vor mich hin, sichte und erstelle einen genauen Kapitelplan. Einfach so. Gleichzeitig fühlt sich der Aufenthalt wie Urlaub an. Jeden Tag renne ich an die zehn Kilometer, wie eine Kuh bergauf, bergab, für mich eine gute Art, die Gegend anzuschauen, spazieren interessiert mich ja nur selten. Die Sehenswürdigkeiten sind überschaubar : in der Hauptattraktion, dem ältesten Kloster des Landes (6. Jh.) wohne ich ja quasi (in einem Mesnerhaus, das der Migros-Stiftung gehört), dann gibt’s noch ein kleines Dorf oberhalb mit fantastischem Mont-Blanc-Blick, wenns nicht allzu diesig ist. Werde den weißen Berg in diesen Tagen öfters zu sehen bekommen und ja, beeindruckt sein. Zwischendurch Rauchpausen im Garten, mitunter zusammen mit dem Schweizer Kollegen, der auch ein paar Tage hier verbringt, um seinen Roman am Ende der Woche genussvoll in den Mistkübel seines Desktops zu verschieben. Ein dezenter, fröhlicher Mensch, der mir den Garten zum Arbeiten überlässt; als nicht viel Älterer, aber als versierter um einiges renommierterer Autor mir ein paar Sachen erzählt, hilfreich. Schön ist es in diesem Teil des Jura, märchenhaft fast die alten Höfe, Mühlengebäude und sogar die neuen, riesigen Traktoren passen sich wunderbar ins Bild und stören gar nicht das Gefühl, in einer anderen Zeit unterwegs zu sein. Die Wiesen erinnern mich an Wiesen in meiner Kindheit, einmal pflücke ich gar einen Strauß, fast, als könnte ich mich nicht dagegen wehren. Stellt den bunten Strauß in einem Glas auf den kleinen Schreibtisch im Zimmer und sogleich wird daraus ein Strauß auf dem Tisch einer meiner Protagonistinnen, die vor Jahren in der Mayson Raymond zu einem Schreibaufenthalt war und herumging und -marschierte, las und sich die Gegend anschaute, vor allem aber das hervorragende, eher französisch anmutende Essen genießt; auch einiges über diesen anachronistisch anmutenden und doch so lebendigen, agrarisch funktionierenden Landstrich notierte, aber nie an diesem Tisch saß, an dem bis zu ihrer Abreise die Wiesenblumen vor sich hin verblüten, und nichts schrieb, nicht „arbeitete“ im strengen/engen Sinn, im Anschluß an den Aufenthalt aber doch ein Manuskript beim Verlag abgeben kann.

Im Zug
das Gleiche, gleichgültig. In Linz treffe ich Kollege S., als ich mich zum Aussteigen fertigmache, er fährt nach Bonn weiter, liest da. Manchmal erkenne ich Schaffner oder Bistro-Mitarbeiter, auch – vielleicht auch gerade –, wenn sie nicht an ihrem angestammten Arbeitsplatz da sind, verwirrt mich dann natürlich umso mehr. Bei der Premierenfeier in Hall entzieht sich ein kleiner dunkler Mann dem Blick aus meinem Augenwinkel, ich werde nicht daraufkommen, woher ich ihn kenne, schon ist er weg. Mitunter ist man im Großraumwagen mit den Lebens-, Termin- oder sonstigen Planungen anderer konfrontiert, was nicht verwundert. Leicht unangenehm wird es, wenn der oder die andere jemand ist, dem man kennt. Also immer immer Kopfhörer mitführen. Oder in der eigenen Vergangenheit kramen [ : ]

An der Bar
es ist immer eine gleiche Geschichte : wenn du lachst.
Du stehst an der Bar des Royale, nicht gerade chic, aber das ist eben das Schöne : keine Schönen, nur so Menschen wie du, älter sind sie, alle wirken immer älter auf dich als du es bist, das liegt daran, dass du so unerschütterlich bist in der Idee, die das Leben darstellt und wie es immer weitergeht. Es gibt Salami und Chips an der Bar und der Mann dahinter fragt dich um Feuer. Das ist ein heruntergekommener, ein schäbiger Platz. Vielleicht willst du das : eine Bar, eine Bar am Rand der Innenstadt ist, keine riesigen Schachteln in edlen Papiertaschen, Kartons mit Zeug Zeug Zeug, kein edles Licht, aber Flitter von unzähligen Glühbirnen in der Auslage. So wie du dir das vorstellst : du stehst in einer kleinen Stadt an der Bar und trinkst einen Pastis. Vormittags lernst du, nachmittags schläfst du und zwischendurch und immer wieder machst du nur die Augen auf und schaust. Hier verärgern dich die Frauen mit den breiten Lippen, die ihre Geschenke nach Hause schleppen, Tag für Tag. Sie machen Halt in den Innenstadtbars, trinken einen Aperitif, rauchen eine dünne Zigarette, dann noch eine, zwitschern oder gurren und stöckeln weiter. In der nächsten Stadt wirst du das Ausmaß erkennen : die gesamte Innenstadt ist in den frühen Abendstunden von Kartons blockiert. Braune Pappberge auf den Gehsteigen, morgens wird alles weggeräumt sein. Wasser über den Asphalt, nichts davon aufgeweicht. Tag für Tag. Das französische Wort égal für gleich/er geht; égal/gleichförmig, einerlei; du schaust ihn an. Égal/eben kommt dir in den Sinn, nicht an der Bar; später. An der Bar schaust du. Wenn du zwei drei Momente länger schaust, würde der mit den kurzen Haaren, der dem Gespräch zwischen der dunkeln, stark geschminkten Frau und einem Mann, der sein Bruder sein könnte, nicht sehr aufmerksam folgt, zu dir herkommen. Du siehst einen Brief an der Wand, eine Kopie, abgeschickt in Nizza, 1959, drehst dich um zu dem Mann hinter der Bar, dem gerade ein Glas zerbrochen ist und lächelst zu dem, was er sagt und du nur ungefähr verstehst, es ist eine gleichmäßige Geschichte, wenn du lächelst..
In einer anderen Bar, auch im Süden (égal/gleich weit entfernt) oder in die Richtung zeigend, in einer anderen Sprache : richte dich doch auf, wenn du deinen Rücken spannst, bist du ja größer und schöner. Haben denn deine Eltern nie deine Haltung korrigiert, haben sie nie gesagt, richte dich auf, gehe ordentlich, hebe einmal wenigstens die Schultern, in diesem hübschen Kleid. Mir égal/meinesgleichen ein Gedanke an später : wie du dich aus deinem dicksten ledernen Wintermantel herausschälst, nach und nach aus wollenen Pullovern, einmal nackt vor mir stehst und ich mich wundere über diesen kleinen Körper, angezogen nimmt er soviel mehr Platz ein. Manchmal zählst du beim Gehen die Schichten, um dich zu versichern, dass dir nicht kalt sein kann : ein zwei T-Shirts ein langärmliges Rollkragenpullover eine Weste die Jacke. Du richtest dich auf, ich habe Recht, aber es ist anstrengend und über viele Jahre hat sich der Rücken auf die für ihn nur scheinbar angenehmste Weise gekrümmt, aber jetzt stehst du an der Bar des Royale, draußen hat es cirka sieben Grad mehr als zuhause, von dem du im Moment nicht sicher sagen kannst, wo es ist (égal/gleichbleibend). Sieben Grad mehr als da, wo du geboren, zehn mehr als in der Stadt, in der du zuletzt gelebt hast. Soviele Grade, die machen, dass so viele auf Terrassen sitzen, die keine Terrassen sind, sondern Tische mit Stühlen auf Plätzen, Trottoirs und trinkst einen Pastis, es ist früh am Abend. Du wirst nachher noch zum Straßburger Platz gehen, uns auf dem Rückweg etwas zu essen holen und égal/gleichmäßig marschieren, wenn du lachst, égal, das ist ganz einfach, beim Denken an.

[ Über das Ausmessen meiner Schritte – im Freien, im Zug, an der Bar ]