Kurzschluss: Seelenverwandtschaft

3. 9. 2015 // // Kategorie Randnotizen 2015

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Sein erster Gedanke: Niemand wird ihm glauben, dass nicht er selbst die Fläschchen und Kapseln so arrangiert hat, dass er sie tatsächlich so vorgefunden hat, dass ein anderer das Tableau inszeniert hat. Es ist zu schön, denkt er, und es ist egal: Bei vielen Fotos wird niemand ihm glauben, dass er sie so vorgefunden hat, obwohl es die einzige Vorgabe war, die er sich gestellt hat: Bei den Fotos darf er nicht eingreifen und er hat nicht eingegriffen. (Auch wenn er es selbst manchmal nicht glauben kann.) Die Fotos sollen abbilden, die Texte sollen fingieren.

Sein zweiter Gedanke: Er hat einen Seelenverwandten, der ebenso an die Schönheit der Sterne glaubt wie er. Obwohl: Er wird ihn niemals kennenlernen. Und obwohl: Wahrscheinlich waren es nur Kinder vom nahegelegenen Spielplatz, die an anderen Tagen Zapfen oder Kieselsteine sammeln und in ihrem Hort arrangieren. (Er weiß nicht, ob er froh oder bestürzt sein soll, dass er immer noch Kinderspiele spielt.) Dennoch: Virginia Woolf verortet den Sitz der Seele im Rückgrat. Die einzelnen Wirbel, denkt er, sind die Verwandten und ein gemeinsames Mark verbindet sie. Kein Hut, keine Kopfbedeckung fällt ihm ein, die ihrer gemeinsamen Seele Unsichtbarkeit gewähren könnte.

Sein dritter Gedanke: Der Messergriff, natürlich, zieht seinen Blick auf sich und irritiert ihn. Mit welchem Hintergedanken ist er in das Tableau eingebaut worden? Worauf soll es verweisen? Was könnte er bedeuten? Nichts, sagt er sich und denkt dabei an das Rasiermesser von W. v. Ockham, weil Nichts die einfachste und darum logischste Erklärung ist. Noch einfacher wäre nur das Messer von G. C. Lichtenberg, aber dann wäre wirklich Nichts, und er müsste über nichts nachdenken.