Autoren Archiv

Empowering People. Eine Kurz-Lecture-Performance

12. 7. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

Es ist interessant. Ich bin kein Schriftsteller. Etwas zu schreiben und es dann auch zu veröffentlichen, das ist gegen meine Natur. Dafür bin ich zu schüchtern, zu selbstkritisch, zu ängstlich in Hinblick auf die Reaktion der anderen (Ist es evtl. doof was ich schreibe? ist es vielleicht nicht gut und intelligent genug? ist es zu faul und hoffentlich merkt es keiner?)Es ist interessant, dass ich hier an diesem Blog beteiligt bin. Und manchmal erstaunt es mich wirklich, dass ich einen Beruf ausübe, dessen Hauptmerkmal darin liegt, seine Ideen erst vor einem Theaterteam, dann vor Schauspielern und Performern und schliesslich dann auch noch vor einem Publikum zu präsentieren. Dass ich es (immerhin) bis hierher geschafft habe, halte ich (wie viele) für Glück und Betrug. Und natürlich ist immer diese leichte Angst, dass es irgendjemandem dann doch auffällt. Das interessante an einem Blog ist, dass es nur einen Tastenklick braucht und schon ist die Aussage draussen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Kommunikation läuft heutzutage so ab. Man kann sich ganz leicht veröffentlichen.

Ich frage mich, wie sich Edward Snowden wohl gerade fühlt. Er sitzt irgendwo in Moskau, auf dem Flughafen, oder in irgendeinem Appartment des FSB, und befindet sich im Auge der Weltöffentlichkeit. Nicht so toll, in einem Land, das seit Kurzem die Hetze auf Homosexuelle juristisch legitimiert. Snowden ist drei Jahre jünger als ich. Ich finde das irgendwie krass. So von der Dimension einer Lebensperspektive her. Das Ausmass an Veröffentlichung, wie er oder ein Bradley Manning es getan haben, ist vermutlich früher gar nicht denkbar gewesen. Heutzutage, wo sich Abermillionen von Informationen auf einen USB-Stick kopieren oder per Tastenklick versenden lassen, kann auch ein dreissigjähriger Nerd zum Grossspion werden. Der Gesetzesbruch geschieht mittels einer mehr oder weniger virutellen Handlung. Ich glaube nicht, das wir auch nur annähernd kapieren, wie sehr sich das sogenannte “Informationszeitalter”  gerade in voller Stärke zementiert.

Hier ein möglicher Anfang des Stückes “Sei nicht Du Selbst”:

Text 1


Ja. Läuft dieser Blog eigentlich nur in eine Richtung oder sind auch Leserreaktionen möglich?

Ich überlege mir, ob man das Publikum nicht durch 99 Statisten ersetzen sollte, denen man im Vorfeld sagen würde, dass sie es für sich behalten müssten, dass sie gefakte Zuschauer sind. Irgendwann im Stück würden sie dann dazu aufgefordert, die Bühne zu betreten. Das Stück endet damit, dass alle auf der Bühne stehen und es gar keine echten Zuschauer gibt. Das wäre das totale Theater. Das fänd ich glaub sehr lustig.

Bin vorhin mal meine Word-Datei mit meinen Notizen zum  Herbst-Projekt durchgegangen; da hab ich diesen Text gefunden. Ich kann mich grad wirklich nicht mehr erinnern, wann und in welcher Stimmung ich es geschrieben habe:

Die Frage ist, geht es heute abend darum, gut anzukommen, was bedeutet, dass man ein bisschen über das mittelmasse hinschaffen muss. oder geht es darum, dass man sich sagt, ich scheiss drauf, fuck you all, mal schauen was passiert? Will ich Erfolg? Und was bedeutet mir die Anerkennung der anderen? Wonach schiele ich, wenn ich das tue, was ich hier tue. (Und mir ein paar Leute dabei zuschauen und sich eine Meinung bilden. Hat das was mit meiner Wirklichkeit zu tun? Oder ist das wehleidig? und ) Bedeutet es mir was, was andere von mir denken? und ich meine jetzt nicht die soziologische Variante, dass alle nur im Blicke des anderen überhaupt existieren. Kann ich mir eine unabhängige Aussenseiterposition bewahren? Oder bin ich sowieso auch korrupt. (ICH MEINE WIRKLICH;) ODER KURZ: AN WEN DENKE ICH, WENN ICH EINE ENTSCHEIDUNG TREFFE UND ZUM BEISPIEL DAS HIER SCHREIBE?

Ja.
Hier noch ein Schnappschuss von kürzlich bei einem Vortrag (ich glaube, das war in Sofia)

Alles Gute, B

P1140904



Zitat Heiner Müller

10. 7. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

Eben gelesen in Heiner Müller, Gesammelte Irrtümer: „Es gibt eine Bemerkung von Hölderlin über die Funktion des Dramas zur Zeit des Sophokles. Das Wort hat eine andere Wirkung. Hölderlin schreibt Wort ist Mord. Ein Text hat zwei Übermittlungsebenen: eine ist Information, der andere ist Ausdruck. Die Ausdrucksebene ist hier (in der DDR) viel stärker und Worte sind hier viel wirkungsvoller als im Westen, weil Information unterdrückt wird. Hier sind Worte nicht nur Informationsträger; man entnimmt auch dem Ausdruck Information. Das ist für das Drama eine bessere Situation. Wenn ich längere Zeit im Westen bin, wird mir die Inflation von Information dort bewusst. Niemand kann wirklich die Zeitung dort an einem einzigen Tag auslesen. Zeitungslesen ist dort eine Ganztagsarbeit. Und wenn man das tut, bekommt man eigentlich keine Information, weil es davon so viel gibt. Es gibt keine Auswahl. Das ist eine Art der Desinformation durch Information.“

Jede Wirklichkeit ist eine Fiktion

7. 7. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

Die letzten paar Tage war ich in Sofia an einem Symposium/Festival zum dokumentarischen Theater. Die Form des Dokumentarischen als eine Möglichkeit, Theater zu machen, ist hier noch relativ neu. Dokumentarische Praxis, zum Beispiel Theaterstücke bestehend aus Interview-O-Tönen (eine Technik, die hier “Verbatim” genannt wird) wird seit etwa einem Jahr auf Bühnen in Sofia praktiziert. Der deutsche Doku-Regisseur Georg Genoux, der zuvor das Moskauer Teater.doc und das Beuys-Theater leitete und sich nun in Sofia niedergelassen hat, hat das Symposium zusammen mit Wasilka Bouborova organisiert und mehr oder weniger aus eigener Tasche finanziert. Wasilka Bouvorova ist sowas wie die “godmother” oder die Seele des bulgarischen Theaters.

wasilkatb

Das Symposium stand ganz im Zeichen der Proteste gegen die Regierung, die die Menschen seit vier Wochen auf die Strasse treibt. In deutschen Medien wurde bisher darüber kaum berichtet, da sich der Fokus ganz auf Istanbul richtete. Bei dem Symposium zeigte die Gruppe “vox populi” ein Projekt, das die Proteste direkt zum Thema machte. Die Darsteller gingen auf die Strasse und machten Interviews mit Demonstranten. Diese Interviews wurden dann in der Performance live wiedergegeben. Bereits im Winter diesen Jahres gab es Demonstrationen gegen die Regierung, nachdem sich die Strompreise verdreifacht haben. Die Demonstrationen führten zu einem Rücktritt der Regierung und zu Neuwahlen (auch das hab zumindest ich nicht mitgekriegt). Nun ist der allgemeine Vorwurf der Korruption Gegenstand der Demos. Eine Regisseurin sagte zu mir, dass die Winterproteste ökonomischer Natur und viele ärmere Leute daran beteiligt waren; nun hätten die Proteste eher einen moralischen Hintergrund und beteiligt seien vor allem Menschen aus dem Mittelstand, Intellektuelle, Künstler und Leute, die es schick finden, protestieren zu gehen. Die Demos seien dennoch nicht weniger wichtig, so die Regisseurin und machte sich auf den Weg zum Regierungsgebäude. Sie verabschiedete sich mit den Worten: I have a duty. Diese Klarheit fand ich verblüffend.
Am nächsten Tag ging ich mit meinem Freund, der mich hier besucht, in der Stadt spazieren. An einer Mauer stand: Legalize DMT.

P1140917

P1140913

Während des Symposiums wurden unter anderem kleine Solo-Arbeiten gezeigt, die Schauspieler der Gruppen “vox populi” und “replica” in einem Workshop mit Georg Genoux erarbeitet haben. Es ging bei dem Workshop darum, als SchauspielerIn die eigene Geschichte zu erzählen. Die Schauspielerin Irina Andreeva erzählte in einem etwa 20 minütigen Solo, dass sie ein festes Engagement an einem italienischen Theater abegelehnt habe, weil sie lieber in Sofia eigene Dokumentartheater-Projekte machen möchte. Nun mache sie zwar solche Projekte – so wie gerade in dem Moment, in dem sie davon erzählte – könne davon jedoch nicht leben und müsse daher zusätzlich jeden Tag als Reinigungskraft in einem Fitnessstudio arbeiten. Ein Teil ihres Solos bestand anschliessend aus Geschichten und Begegnungen, die sie dort in diesem Studio erlebte. Sie beendete ihr Solo damit, dass sie den gesamten Theaterraum mit einem Wischlappen aufnahm, im Hintergrunf “Vissi d’Arte” aus “Tosca” von Puccini.
Später gab es Ziegenkäse, Gurken, Tomaten und Wein auf dem Dach. Ich sagte zu Irina Andreeva, dass ich es interessant finde, wenn Schauspieler auf der Bühne von sich selbst erzählen. Da man Menschen vor sich habe, deren Beruf es ist, andere von einer Figur zu überzeugen, wisse man in einer dokumentarischen Theatersituation eigentlich nie, ob das ganze nicht gelogen sei. Für mich ist der Schauspieler in dem Moment so etwas wie eine Kippfigur der Wirklichkeit. Es könnte stimmen, es könnte aber auch nicht stimmen. Irina Andreeva antwortete, dass das ja auch auf Regierungen zuträfe, schliesslich würden sie deshalb ja zur Zeit in Sofia jeden Tag demonstrieren gehen. Das, was die Regierung vor wenigen Wochen noch zu tun behauptet habe, nämlich etwas gegen die Korruption zu tun, hat sich nun als Illusion herausgestellt. Das sei doch sowas wie gefaktes, dokumentarisches Theater, so Andreeva. Etwa eine halbe Stunde später verkündete Georg Genoux, auf Spiegel online stünde, dass das ägptische Militär gerade Präsident Mursi abgesetzt habe.

Bildschirmfoto 2013-07-04 um 02.52.44

Bildschirmfoto 2013-07-04 um 02.53.07

Irina Andreeva erzählte mir eine Geschichte, die hier absurderweise einfach extrem gut passt: 2004 habe sie für eine Weile in Berlin gelebt. Irgendwann stand sie in einem “Kaisers”-Supermarkt an der Kasse. Es ging nicht voran, hinter ihr hatte sich mittlerweile eine lange Schlange gebildet. Vor ihr stand eine alte Frau, die etwas verwirrt in ihrer Brieftasche herumnestelte und nach Geld suchte. Irgendwann hat die Frau an der Kasse gefragt, ob sie ihr helfen könne. Darauf hin übernahm sie die Brieftasche und holte zuerst ein paar Deutsche Mark heraus. Sie müsse das Geld in der Bank in EURO umwechseln, nölte die Kassierin die alte Frau an und suchte weiter. Darauf hin fischte sie ein paar Ost-Mark heraus. Dieses Geld sei schon länger nicht mehr gültig, sagte sie stirnrunzelnt. Schliesslich holte sie einen sehr alten Schein heraus. Es waren 100 Reichsmark oder so.  Die alte Frau war total überfordert. Das habe sie irgendwie berührt, meinte Irina. Erst habe man der Frau Reichsmark verkauft. Das war die wirkliche Währung. Danach war alles anders und über 45 Jahre bezahlte sie ihre Einkäufe mit Ost-Mark, in dem Glauben, dass das die wirkliche Währung sei. Dann kam plötzlich die West-Mark. Und das war nun wirklich die wirkliche Währung. Bis auch die schliesslich 2002 vom EURO abgelöst wurde. “In Bulgarien gibt es noch keinen EURO, zumindest nicht für den täglichen Gebrauch”, sagte Irina.

Vor drei Tagen bin ich in Sofia durch die Fussgängerzone gelaufen. Ich telefonierte gerade mit einem guten Freund. Es ging um Beziehung und Trennung. Plötzlich musste er aufhängen. Ich lief weiter. Irgendwo hörte ich die europäische Hymne. Ich schaute mich um und sah eine kleine, ältere Dame im Strickpulli vor einem Hauseingang stehen. In der linken Hand hielt sie einen Stoffbeutel, in der anderen eine Mundharmonika. Sie spielte “Freude schöner Götterfunken” im Loop. Ich fand das ein gutes Statement.

P1140905

“Nennen Sie mir eine Sache auf dieser Welt, die nicht verhandelbar ist” (Walter White)

See you all by Koudlam

28. 6. 2013 // // Kategorie Randnotizen 2013

Eine Zusammenarbeit des französischen Künstlers Cyprien Gaillard und des Musikers Koudlam. Das Video ist mir vor ca. 5 Jahren auf der “Art Basel” begegnet und ist  heute beim Recherchieren wieder aufgetaucht. Gaillard kombinierte in seiner Installation die Bilder der aufeinander clashenden Hooligans mit dem Video eines Feuerwerks eines Gebäudes, das danach gesprengt wird und einem Flug über eine sozialistische Trabantenstadt. Es war damals die Videoinstallation, die mir am meisten hängen blieb.
<!–
SEE YOU ALL (you tube)

Bildschirmfoto 2013-06-28 um 12.17.05 –>