Zwei Welten – Ein Erlebnis.

19. 8. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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foto: florian günther

“Bestaunen Sie die Lebensweisen und Kulturbesonderheiten dieser Menschen!” fordert das Karl-May-Museum in Radebeul bei Dresden, und bietet zu diesem Zweck die Villa Bärenfett einerseits, eine Blockhütte im Garten des Schriftstellers, und andererseits sein Wohnhaus, die Villa Shatterhand. Ich suchte jetzt eben im Internet, meine Behauptung zu stützen, May habe als eines seiner ersten Werke ein sexuelles Aufklärungsbuch verfasst, das einen eigenartigen Hang ins Mystische besitze, stieß aber ständig nur auf eine in horrendem Maß reproduzierte Sammlung von wirklich, wirklich schlechten Schülerwitzen. Für Hinweise wäre ich dankbar.
Dies war aber nur das Katerprogramm, das Vorspiel zur bekannten Vorgehensweise in deutschen Dörfern, durch öde Straßenstriche – hier gibt es keine Gassen! – zu schleichen auf der Suche nach einem lebenden Wirtshaus. Keine Chance! Das einzige nicht plastinierte Wesen war ein quatratisches Frau auf einem ebenerdigen Balkon gleichen Formats. Zwar wirkte der Putzkittel tussaudsch, doch bewegten sich die Augen, als ob sie unsere Bewegungen verfolgten.
Der Grund des Aufenthalts lag in der Eröffnung einer Ausstellung über Ost-Punk im Stadtmuseum Dresden. Bert Papenfuß hielt im entlegensten Eck der Räume einen freien Vortrag. Er sprach relativ leise eine Weile über Quirinus Kuhlmann, wobei er präzise und ausführlich Quellenangaben und Fußnoten anführte. Dieses klare und ruhige Understatement hat er zu Recht als legitimen Nachfolgemodus der Punkbewegung erkannt. Die Ausstellung zog eine Wiederbelebung des Chaos mit viel Wandfarbe und Xerokopien unklarer Herkunft vor, was nie dazu führen wird, dass man zu sichten und durchschauen beginnt, was wozu gut war und wie überhaupt was entstand und wirkte. Nach dem Konzert der für diesen Abend wiederversammelten Band Paranoia, wo die Punks mit ihren Digitalkameras beinahe unsere Weingläser zertrümmerten, zogen wir weiter, um darüber zu streiten. Der Streit ging in Schleifen: “Das entspricht einfach dem Chaos, in dem dieses Material sich tatsächlich noch befindet.” “Das ist völlig legitim, aber sie brauchen nicht noch extra mit Farbe über die Quellenangaben streichen.” Wir ließen es fallen und verfassten das Folgende:

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8-Punkte-Proklamation des Zufalls

1. (a) Der Zufall als poetisches Wrack ist unbestechlich.

(b) Die Situation des Zufalls ist verständlich.

2. Die Bestechung des Zufalls ist heiß und niemand muss es merken. Das Herz der Sache ist dabei für den entscheidenden Augenblick ein nur dilletantisch-photographisch bezeichenbarer Akt in einer noch ungeschauten Pose.

3. Der Zufall ist die Grundlage der Verwertung.
Ktonr.: 00717416457, BLZ: 12000, Ba-Ca.
IBAN:
BIC:

4. Bedeutung ist der Produktion davon (Zufall) kein Begriff. Der Wunsch nach ausgezeichneter Schönheit bewegt sich innerhalb des Zufalls in einem geweiteten Raum. In Stiefeln der Bedeutung könnte jeder Trottel herumschlottern (und tut es auch).

5. Ruf mich doch mal auf dem Handy an.

6. Ein Meister des Zufalls ist ein Beispiel.

7. Dadurch, dass der Zufall in fast jedem Fall überliefert wird, deckt er sich mit der Keuschheit des poetischen Akts.

8. Zufall, den ich seit langem schon als Grundelement aller geistigen und kreativen Kunst zu verstehen gelernt habe, ist in allen wesentlichen Angelegenheiten der zu Bezirzende.

8.1 Der Zufall ist über alle Maßen verwertbar und existiert nur, wenn er an die Öffentlichkeit kommt.

Dresden, Morgenstunden des 18. August 2007, Ann Cotten und Johannes Jansen

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