Die Küste Österreichs

11. 8. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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Badehose einpacken. Halb vier aufstehen, ab nach Wien! Viertel nach fünf in der früh auf dem Airportpissoir. Beim unausgeschlafenen Pinkeln denke ich: Thomas, du guter Mensch, das entlastet auch das Flugzeug! Um wieviel wohl? Was wird die Pfütze wiegen? Frage mich auch, wie vieler Energie es bedürfte, den von der Schwerkraft jetzt so mühelos hinab getragenen Urin hinaufzupissen auf 1500 Meter Höhe. Ein happiges Quäntchen Kilowatt würde schon benötigt werden!
Dann tat mir die Pusche aber auf einmal irgendwie auch leid: Darfst nicht mit nach Wien! Mußt hierbleiben! Mußt dich trostarm mischen mit Touristenpusch (von Kaffee/Bier) und O-Saft-Seich der blöden Wirtschaftsleut in den ökologisch ausklügelten Güllebottichen des unterirdisch gleichfalls fieberhaften Flughafens Berlin-Tegel, der auch Kot aller sonstigen Vögel und Insassen unter Tage in Methanbrennstoff und Tomatensaft verwandelt. Na, immerhin!
Oben trank ich sofort einen, des ewigen Kreislaufs wegen. (Tomatensaft, fiel mir auf, trinke ich meistens, nein sogar immer nur in etwa 3500 Meter Flughöhe, und natürlich bei entsprechender Hochgeschwindigkeit! Somit ist die Tomate als klassischer Neophyt, von Südamerika kommend, wohl doch invasiv wirksam.)
Um sieben in der Früh betrat ich Österreichschen Boden und mußte gleich wieder. Hatte also doch etwas Pusche aus der Heimat mit hergebracht. Ob es ihr hier nun besser ergeht, als der verbliebenen, steht offen.
Eine erste Feststellung zur Differenz Deutschland / Österreich betraf den Betonbau: der unsrige deutsche verdankt sich der Architektur und ist so stets glatt und dünnwandig bis ins Riskante; der österreichische schuldet seine Wesensart dem grob alpinen Tunnel- und Befestigungsbau, schaut roh und fest aus und nimmt niemals ein Risiko auf sich. Amen.
Um den Vormittag zu überstehen, besuchte ich, da Kaffee Korb bis zehn geschlossen, den Sonntagsgottesdienst im Stephansdom, um auch hierbei Vergleiche anzustellen: Martin Mosebach hatte mich darauf hingewiesen, daß in Berlin zu St. Afra ein klassischer, lateinischer Gottesdienst, fast unerlaubt, ja klandestin, zelebriert würde, und ich hatte diesen dann besucht, saß dort wonnetrunken im Lichte der Gesänge und Weihrauchschwaden unter den Frömmsten. Es war einer der anmutigsten Riten, denen ich je beiwohnte.
Im Stephansdom nun der neuvatikanische, konzilsverordnete Ritus, hochmodern, knapp und arg verlabert. Bäh. Anschließend hurtig zum Reiseziel: ein Symposion zum Thema Subversion. Höhepunkt: der Kunstphilosoph Schmidt, funkelte mit einem erfrischenden, frei gesprochenen Vortrag über den Pinsel Gottes (Debatte Suger / Bernhard). Bevor ich dem großen Bloch-Herausgeber ein wenig von meinen Examina zur Blochschen Musikphilosophie (die ich für Mumpitz erachte) bei Michael Landmann (!) großtun konnte, hatte sich der Schurke, eine Zigarettenpause antäuschend, klug aus dem Kunststaub gemacht und war zu nachmittäglichen Vorbereitungen zu ausschweifigem Wiener Nachtleben verschwunden.
Dann mußte ich mal wieder eine Votzenperformance anschauen. An der Kunstschule Braunschweig hatte ich ja schon jahrelang ungezählte Votzenperformance-Prüfungen, vorrangig von Schülern der Klasse Abramovic, abnehmen müssen. Fazit: Jeder zweite weibliche Performancestudent glaubt sich, bei Gelegenheit seiner künstlerischen Arbeitsproben, nackt zeigen zu müssen. Jeder fünfte präsentiert dabei ganz ostentativ die Vagina, ist sich aber doch selten der theoretischen Tiefe dieses archaischen Aktes des sogenannten Schamweisens bewußt (vgl. H. Imhoff, Eine Geliebte Goethes, 1992). (Die Performancemännchen hingegen bevorzugen Mutproben und Sichwehtun. Zur Zeit sehr beliebt bei beiden Geschlechtern: Blutegel.) Beim Publikum aber kam die Votzenperformance, die, um einer wohlfeilen Steigerung der Affekte, sich der Effekte der Callasschen Arie „Sola, perduta, abbandonata“ aus Puccinis Manon Lescaut bediente, gut an.
Mir wehte sogar der Satz zu, die Frau sei aber mutig! Ach, du liebes bißchen! Zeitung, Welt und Fernsehn sind voller nackter Weiber, die nichts lieber täten, als auch ihre Votzen noch zu zeigen, wenn sie denn dürften, und wo sie’s dürfen, tun sie es ja auch reichlich! Und werden allseits belobigt und bestaunt dafür.
Als vor Jahren nun aber einmal ein besoffener Künstler, ziemlich berühmt, die Elefantennummer, also ähnliches, gab, wurde er fast gelyncht und aus der Galerie geschmissen. (Die Elefantennummer geht so: Beide Hosentaschen nach außen stülpen, Schlitz auf und Penis heraushängen lassen; Tasche, Tasche, Reisverschluß, Strich – fertig ist das Elefantengesicht!)
Nachdem nun das Publikum eine veritable Votze gesehen hatte und sich zufrieden gezeigt hatte, kam ich als Zugabe dran, als Votzkopp oder Arschgesicht, zum guten Schluß. Gegen 17 Uhr war es vollbracht (und in Deutschland nennen sie mein Zeug immer: witzig! Haha. In Österreich hingegen: gescheit! Das ist sehr klug, ihr gescheiten Österreicher!) und ich trank einen mir begeistert verabreichten ersten „Schops“ des Tages.
Dann trödelte ich über zwei Bierstellen und den schönen osterreischen Strand über Stunden zurück zum Flughafen, hob hinweg zurück nach Berlin und urinierte den Wiener „Schops“ am Airporturinal abwärts zum vorhinnigen Frühurin, sofern der noch nicht zu Tomatensaft neubelebt worden war, oder Methanenergie. So schloß sich der Kreis zu einem sinnvoll gelebten Tage. Und Helge Schneider behauptet recht plausibel, Berlin sei halb Leberwurst und halb Wien. Also 1/2 Berlin – 1/2 Leberwurst = Wien.
Nein! Nein! Nie! Sondern: Wien = 2 mal Berlin weniger Leberwurst! Von Falk Keuten aus Bonn erhielt ich den plausiblen und doch unverstehbaren Widerspruch: Die helgeschneidersche Aussage, Berlin sei halb Leberwurst und halb Wien, führe keineswegs zu der von mir gewählten Überschrift, da bei der korrekten Umformung der Formel, nähme man die ganze Gleichung mal 2, die Aussage entstünde: “2mal Berlin = Leberwurst + Wien” Und löse man nun diese Gleichung nach Wien hin auf, so habe zu gelten: “Wien = 2mal Berlin – Leberwurst”, was nun überhaupt nicht mehr mit meiner Überschrift übereinstimme!
Ich habe es gleich auch noch mal mit z = x durch 2 + y durch 2 durchgetüftelt und Keuten hat natürlich (natürlich? Doch, durchaus natürlich und nicht etwa künstlich) recht: x = 2z – y! Da sei ihm großer Dank bezeugt! Und doch bleibt mir das Stück ganz rätselhaft, wenn für die fühllosen, blut- und leberleeren x, y und z die leibhaftigen Wesen Wien, Leberwurst und Berlin in die Formel gestellt werden. Waren doch zuvor Leberwurst und Wien je zwei gleiche Hälften von Berlin, so soll nun ganz Wien Berlin gleich zweimal (das stelle man sich mal vor!) minus eine immerhin vorstellbare Leberwurst … tja, darf man jetzt wirklich SEIN schreiben? Tja, muß man wohl.