Vom Ärger in Bolivien zur Reflektion

21. 5. 2014 // // Kategorie Randnotizen 2014

Wir basteln schon einige Tage am Trailer, der einen Vorgeschmack auf unser “Konzert-Theater” – Der eindimensionale Mensch wird 50“ geben soll. Natürlich muss auch hier schon Herbert Marcuse im O-Ton auftauchen. In einem Interview aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre reagiert er auf die Frage, ob sein Denken die Welt verändert habe, mit einer langen Pause der Verblüffung, einer Nachfrage, ob er gemeint sei, einer Zurückweisung und schließlich mit der ein paar Nummern kleineren Feststellung, er habe wohl das Bewusstsein (und vielleicht sogar Unterbewusstsein) einer gewissen Zahl junger Leute verändert. (Ich belasse es bei dieser Andeutung, der O-Ton erscheint an dieser Stelle ja demnächst.)
Nun habe ich vor ein paar Tagen einen “Zeugen” gefunden, einen, der bestätigt, wie Herbert Marcuse ihm behilflich war, sein zunächst notwendig emotionales Zerwürfnis mit der Welt in ein reflektiertes zu verwandeln. Das ist übrigens ein Vorgang, sei angemerkt, bei dem die Schroffheit des Zerwürfnisses – die Feststellung der Unerträglichkeit – nicht gemildert werden muss. Der Zeuge ist Moishe Postone, der selbst ein viel beachteter Denker wurde, und der sich an seine jungen Jahre in den U.S.A. erinnert (Das Zitat ist dem Buch “Ende der Utopie / Verlag Neue Kritik / 1980 entnommen): “Während der sechziger Jahre habe ich Marcuse nie gesehen und trotzdem war er mir in dieser Zeit sehr wichtig. Zwischen 1963 und 1967 hat mich alles geärgert, einfach alles. Jedes Mal, wenn ich die Zeitung gelesen habe, habe ich mich geärgert, jedes Mal, wenn ich durch die Straßen gegangen bin, habe ich mich geärgert, und ich hatte keine Möglichkeit, die Sachen, die mich geärgert haben, in Zusammenhang zu bringen. Besonders in Amerika, wo alles als zufällig betrachtet wird. Jede besondere Erscheinung wird als solche aufgenommen (…) Das hat zu einer Übermacht an Ãrger über Sachen, die ich gesehen habe, geführt, und ich bekam langsam ein starkes Bedürfnis, das alles einordnen zu können. Deshalb war für mich die Theorie ungeheuer wichtig. Ich weiß, dass ich so um 1967 Phantasien hatte, in den Dschungel von Bolivien zu gehen, und ich habe gedacht, wenn ich dort bin und habe ein Maschinengewehr in der Hand, und der Feind steht vor mir, kann ich all die Frustrationen, diesen ganzen Ãrger, unmittelbar ausdrücken. Es war mir fast zuviel geworden. Meine Begegnung mit Marcuse war auch eine Begegnung mit jemandem, dessen Marxismus … meine eigenen Erfahrungen für mich sinnvoll dargestellt hat. Später habe ich mich dann sehr gefreut, als ich
ihn kennenlernte, und ich habe gesehen, dass es eine Identität gibt (keine vollständige, die gibt es bei niemandem) zwischen dem, wie er lebt und wie er denkt und redet. Das hat mir imponiert.”

Ich glaube, freundlicher kann man über die Wirkung eines Theoretikers, Philosophen, Systemkritikers kaum Auskunft geben.