Ein Brief an Jonathan Flickschuh

15. 6. 2016 // // Kategorie Randnotizen 2016

Ich habe einen Brief an Jonathan Flickschuh (Google Inc.) geschrieben. Eine Übersetzerin hat ihn in amerikanisches Englisch übertragen und ich habe den Brief heute an Google geschickt. Hier ist die deutschsprachige Vorlage:

Lieber Jonathan Flickschuh,

Ich weiß, dass Sie nicht Jonathan Flickschuh heißen, aber genau dieser Umstand ist der Grund, warum Sie meinen Brief lesen. Da Sie bei Google Inc. 1600 Amphitheatre Parkway, Mountain View, CA 94043 für Suchanfragen zuständig sind, die keine Treffer ergeben, sind Sie sozusagen mein Mann.

Mein Name ist Daniel Wisser und ich schreibe zurzeit für ein Kulturfestival namens steirischer herbst, das alljährlich in Österreich, einem kleinen Land im Süden von Deutschland, einem größeren Land in Westeuropa, stattfindet, einen Blog über ungooglebare Begriffe und Vorfälle.

Nun habe ich begonnen, mir Ihre Tätigkeit vorzustellen und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass wir bereits miteinander zu tun haben, auch, wenn wir einander nicht wahrgenommen haben. Meine Tätigkeit ist für Sie vernachlässigenswert und hat kein wirtschaftliches Gewicht; dennoch erlaube ich mir, Ihnen zu skizzieren, warum Ihre berufliche Tätigkeit spannend sein könnte.

Nehmen wir an, eine Redaktion für Dokumentarfilme denkt darüber nach, einen Dokumentarfilm über ein Thema zu machen, über das noch niemals ein Dokumentarfilm gemacht wurde. Um sich darüber Gewissheit zu verschaffen, beginnt man mit der Suchmaschine Google nach jenem Thema, das man für so einzigartig hält, zu suchen und findet: NICHTS. Perfekt für die Redaktion, die nun sicher ist, das neue, unverbrauchte Thema gefunden zu haben.

An diesem Punkt treten Sie, Herr Jonathan Flickschuh, der Sie in Wirklichkeit ganz anders heißen, in Erscheinung. In ihrer Datenbanktabelle oder ihrem CSV-File oder in welchem Format Sie sich auch immer die Anfragen, die keine Treffer erhalten haben, schicken lassen, sehen Sie nun, was gesucht und nicht gefunden wurde. Und wenn Sie nun geschickt und schnell sind, können Sie diese Idee verwerten, bevor der vermeintliche Schlaumeier, der sich selbst durch seine eigene Suchanfrage verraten hat, mit seiner Verwertung begonnen hat.

Ich bin Ihnen deswegen, lieber Jonathan Flickschuh, gar nicht böse. Im Gegenteil: Ich bin sogar dazu da, Ihre Bedeutung für die Welt erst festzustellen. Da die Anfrage nach Jonathan Flickschuh keine Treffer bei Google bringt, weiß ich, dass Sie auf diese Anfrage aufmerksam werden, und sich denken werden: Warum zur Hölle gibt es keinen Jonathan Flickschuh? – Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie SIND Jonathan Flickschuh! Und bereits wenige Stunden, nachdem ich diesen Brief an Sie gepostet haben werde, wird Ihr Arbeitgeber Google Inc. 1600 Amphitheatre Parkway, Mountain View, CA 94043 Sie im World-Wide-Web finden – und vielleicht auch nichts oder wenig von Ihnen wissen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir antworten. Es ist nicht nötig, dass Sie über Ihre Arbeit schreiben; ich weiß, dass Ihnen das untersagt ist. Es würde mich freuen, wenn Sie ein Lebenszeichen von sich gäben, von sich hören ließen, mir aus Ihrem Alltag schildern. Irgendeine Nachricht, irgendein Zeichen - alles, alles würde mich glücklich machen.

Bleiben Sie wachsam
Ihr
Daniel Wisser