Archiv der Kategorie 'Randnotizen 2007'

mise en demain (Halbe, Damen, Herren:)

30. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

vogerl

Und dann waren sie morgen und dann waren sie morgen und dann waren sie morgen und dann fahren sie morgen.
Graz, baba. Herr Kapielski, viel Glück.

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29. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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Ich habe mich niemals so erdnah gefühlt wie in Island. Jetzt werden sich, ich weiß, all diejenigen sehr wundern, die mich in meiner sanften Aufgebrachtheit über alles Esoterische kennen, wenn ich mich der Worte “Kraft” und “Inneres” bediene, Achtung: Ich habe mich niemals so nah den originären, unaffektierten Kräften aus dem Erdinneren gefühlt wie in Island, umgeben von offenen Wunden, verheilten Narben und verkrustetem Blut des Planeten und seinem schweren, schwefligen Atem. Vulkane und Geysire, ernstzunehmende Wassermassenfälle, eine beruhigende Tierlosigkeit zwischen und über den schwarzen Felsen, diverse tektonische Verschiebungssensationen, dann Wind und Regen und Musiker wohin das Auge sieht. Es hat gebrodelt, gedampft, gespritzt, es hat nach faulen Eiern gerochen und das erstarrte Lavagestein war beteppicht mit Sporenpflanzen dunkelgrünem Moos, weich – so und jetzt ein Vergleich, auf den ich mich seit Tagen freue – wie das Isländische mit seinem auch irgendwie mit dunkelgrünem Moos beteppichten Klang; und außerdem gucken dich die Isländer an, wenn sie an dir vorbeilaufen, sie gucken dich an, wenn du mit ihnen auf Grün wartest, sie gucken dich neugierig an, wenn du dich mit ihnen betrinkst, das ist – nach zwei Wochen USA, wo, aufgrund der Bestimmungen über die sexuelle Belästigung, niemand niemanden anguckt (sicher ist sicher) – wie ein inneres Kamillebad für die Augen, meine waren seitdem nicht mehr gerötet.

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Erstmal nur so viel über die naturliche Übermannung. Jedenfalls, wie auf dem Foto sehr unübersehbar zu sehen ist, haben mich auf meinen Spaziergängen in die Nähe zum Erdinneren (v. l. nach r.) Claudio Pozzani, J.M. Coetzee, Jonas Hassen Khemiri, Roddy Doyle und noch jemand begleitet. Auch Daniel Kehlmann ließ sich von dem tiefen Himmel zum Jauchzen verleiten; Robert Löhr, ein anderer, sehr sympathischer deutscher Autor, mochte sehr den Bach beim Haus des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness und tauchte die Hände hinein, was immer irgendwie schön ist, dieses Händetauchen in Bäche und auch das Sich-Danach-Gedanken-über-die-Bachtemperatur-machen. In Vorträgen prangerte Coetzee Unrecht und Zensur an, und die Niederländerin somalischer Herkunft Ayaan Hirsi Ali erzählte tief in der Nacht von einer Frau, die sehr enge Shorts getragen und sich für eine Muslimin gehalten habe. Ayaan Hirsi Ali lachte sehr laut über diese angebliche Muslimin tief in der Nacht. Yasmin Crowther las so hervorragend aus ihrem hervorragenden Debütroman, “Die Farbe von Safran”, dass ich ihr das ehrlich mitteilte, worauf allseitige Herzlichkeit und Freude und Kompliment ausbrachen.

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Da aber auch Verleger, Agenten und Übersetzer mit in den Bussen saßen, die uns etwa zum isländischen Präsidenten brachten und zum Bürgermeister von Reykjavik, war das meistgesagte Wort des Festivals mit Abstand “publisher / publishing house”. Und weil darin so ein schön weicher “Sch”-Laut schlummert, schaukelte mich das PublischPublischRauschen auf jeder Strecke in den Schlaf. Ich träumte davon, dass Schriftsteller abseits aller Legenden, die sie um die eigene Person auftürmen, einfach mal sehr gerne in Immobilien investieren und Qualitätswaren kaufen möchten, für sich und vielleicht für ihre Freunde.

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Eine der positivsten, angenehmsten, erhellendsten Erscheinungen des Festivals war dieser Mann – Thor Vilhjálmsson, der trotz und wegen seines hohen Alters immer wieder die Gelegenheit nutzte, um auf den hohen Wert von Unerschrockenheit im Schreiben und Freundschaft im Nichtschreiben hinzuweisen, und vor allem, dass es umgekehrt genauso gilt: Freundschaften zwischen den Schreibenden wie sie auf einem Festival wie diesem entstehen können und die Unerschrockenheit im Leben, in der Recherche, in der Liebe, im gesellschaftlichen Engagement, zählen zu inneren und äußeren Stärken eines jeden Künstlers, machen sie sowohl seine Persönlichkeit, als auch seine Arbeit relevanter, kompletter, unvergesslicher.

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Aah, witzisch.

In der blue lagoon konnte man in den Matsch auf dem Grund des Sees greifen und fand Haare darin. Isländische Haare, amerikanische Haare, Haare japanischer Touristen. Leute schmierten sich den Brei ins Gesicht und schwammen so in der blue lagoon herum. Der Wind blies, sie unterhielten sich mit ernsten Mienen, graue Soße von unzähligen Schuppenflechtepatienten auf Stirn und Nase, ein Festival der internationalen Matschmasken mit Haar- und Hautzusatz.

FREMDKÖRPER

28. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

Buenos Aires. 12.- 22. September.

12. September. Ich gehe mit meiner Mutter in die Hamletvorstellung. Seit sie das Gedächtnis verloren hat, trägt meine Mutter unter der Bluse einen wie einen Walkman aussehenden Apparat, der mit dem Arm verbunden ist und ihren Blutdruck misst. Die ganze Vorstellung über höre ich mechanische Geräusche aus ihren Kleidern kommen, als ob meine Mutter ein Roboter wäre. Die Geräusche, die der Körper meiner Mutter von sich gibt, erinnern mich daran, dass sie jeden Moment sterben kann. Als ich ein kleines Mädchen war, war der Körper meiner Mutter wie ein Polster, das alles beruhigte. Wenn ich nicht schlafen konnte, wenn ich nicht aufhören konnte zu weinen, wenn ich auf die Welt wütend war, konnte ich mich immer gegen ihre Rippen drücken und wieder aufatmen. Jetzt ist meine Mutter eine nicht mehr funktionierende Maschine.

16. September. S. verschluckt sich beim Salat essen und wir enden im Krankenhaus. Im Krankenhaus wird ihm ein Schlauch in die Nase gesteckt, an dessen Ende eine Kamara sitzt. Auf dem Bildschirm sehen wir die Kehle von S. als ob sie ein glitschiger rosa Tunnel wäre. S. sagt ¨jetzt hast du auch mein Inneres gesehen, nun kennst du alles von mir¨. Der Arzt sagt, dass er in Narkose versetzt werden muss, um zu versuchen den “Fremdkörper” zu entfernen. Ich frage mich, ob der Fremdkörper, den er verschluckt hat, ein böser Geist, eine Tomate oder ein Stück von mir ist. Sie setzen ihm eine Haube auf, ziehen ihm ein Mädchennachthemd über und fahren ihn in einer Bahre weg. Während ich im Wartesaal sitze werden im Fernsehen Bilder aus dem Irak gezeigt und ich schlafe ein. Als ich aufwache, sagt mir der Arzt, dass er ein Stück Fleisch im Hals stecken hatte, aber dass es ihm jetzt wieder gut ginge. S. macht die Augen auf und lächelt als ob ich ein Lebensretter wäre, der ihn davor bewahrt hat, im Meer zu ertrinken.

21. und 22. September. Mein Körper ist ein Übungsgelände. Ich lasse mir meinen Kopf mit allen erdenklichen Betäubungsmitteln kontaminieren. Den Tag verbringe ich wie eine Schlafwandlerin, in Zeitlupe schreibend, und nachts tobe ich mich aus unter hunderten tanzender Personen. Ich bin der Soldat meines privaten Krieges. Ich bin auf der Tanzfläche mit offenen Haaren und einem unsichtbaren Gewehr. Die Musik klingt in mir und ich spüre, dass ich von Gespenstern umgeben bin. Der Boden, auf dem ich tanze, ist ein Minenfeld. Ein Schritt und ich bin glücklich, ein Schritt und ich kann sterben.

The grand expedition to Security-Land

28. 9. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

tresor

I am lonely, lonely, I was born to be lonely, I am best so, wrote William Carlos Williams in a poem in which while his family is sleeping he dances naked, shades down, before his bedroom mirror. But was he aware of the danger of burglary – that, having no particular safety measures installed at the door between the garage and the house, burglars, especially at the mentioned time, dawn, might easily have broken in and not only woken the sleeping family but also caught the middle-aged poet in such a very private state? Probably not. Therefore, as a twenty-first century writer of prose, I took my lonelyness along, fully dressed, to check out the newly opened security palace in one of Graz’s prominent peripheral shopping centers, the Center West.

s-land

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It was a little disappointing initially. A very small sky-blue cube lacking any of the spectacular security tools I had been looking forward to. No land mine garden lamps, no sniper treehouses, no anti-tank jacks, no razor wire. Just some locks and some little cameras, and a stupendous number of experts in suits with illegible name badges. They came up to me like flies toward a carcass as soon as I pulled out my camera. The first three I was able to fend off by saying “Oh I’m fine, I’m just looking around.” The third, who was twice as wide as the first three, put a slightly more menacing tone in his “Can I help you?” and then explained “We don’t like people taking pictures.” He referred me to Herr Ollinger across the room. Which of the hunks in suits was the right one? I vaguely steered in the direction he had indicated. Given the size of the room, such a manoevre resembled that of a carp in the aquarium of a fish restaurant. So when I heard my man reporting the occurrence of me to another man behind the Info desk, I joined them and asked the man in the overcoat if he was Herr Ollinger. “No, this is Herr Fischer,” said the man, “but Herr Fischer will also be glad to talk to you.” I told him my name was Carp and I was blogging for the Steirischer Herbst. “It’s art,” I said as off-handedly as possible, “it’s completely harmless.” Herr Fischer wanted to see some kind of ID, because, as he explained, how should he know I was not from the competition, spying out their new security innovations and marketing secrets. After I had shown him my social security card, which, I remembered dimly just in that moment, unfortunately is no longer valid, and talked for a while on the virtues and childish creativity possibilities of the freedom of art, he apologized for his distrust and set me loose again with my camera after I had promised not to take any pictures of the prices.

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On the way home, I came by the Museum of Perception (in the Augarten), where, as I had, as most things, learned from the Kleine Zeitung at breakfast, Tim Ulrichs was going to open a show on “Camouflage” that night. This camouflage was indeed quite convincing. I had some difficulty determining what was a decorative tree and what was the Museum of Perception, or, once something had been identified as a tree, whether it was covering up menace, idiocy or just plain living space.

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Also, a small truck had damaged the lawn bringing rolled up grass which I assumed was to be part of the exhibition, thus leveling the difference between outside and inside, nature and culture a little bit more. Considering also the hyperbole, the leaf-lights, the vodka/water shots that left you with a quirked identity and the nature cocktail flambé of last night, I approach my departure with a sense of deep balance that I have not experienced since something like two years ago when Austrian TV produced a series that sent a declining number of young idiots on a beeline across country, moderated by Mirjam Weichselbraun.

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And then I saw the Beuys on the corner.

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