LA VIE EST SIMPLE

2. 6. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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31. Mai. Buenos Aires.

Ankunft in Buenos Aires aus Montreal, im Gepäck ein neues Album mit Fotos aus Kanada.
1. 3 Alte oder Behinderte in elektrischen Rollstühlen, die mit fliegenden Haaren wie Motorradhelden in vollem Tempo die JF-Kennedy-Avenue überqueren.
2. Stefan und ich, wie wir uns in Unterwäsche neben ein paar LKWs sonnen, nachdem wir in einem verschmutzten See gebadet haben.
3. LOVE AND DIE auf einem Neonschild von Bruce Naumann im Museum für Zeitgenössische Kunst von Montreal.
4. Eine Gruppe von über zwanzig Jugendlichen unterschiedlicher Nationalitäten mit Regenjacken, die an einem Springbrunnen in der Eingangshalle des Holliday Inn sitzen, als ob sie eine lebendige Skulptur der Zukunft wären.
5. Das Schaufenster eines Geschäfts mit Namen LA VIE EST SIMPLE, vollgestopft mit Souvenirs: zwei Indios in Miniatur, ein Polizei-T-Shirt mit dem Blatt von Kanada drauf, mit Tieren dekorierte Teller, Minitotems der Indios.
Zurück in Buenos Aires ist das Leben nicht einfach. Die Aufführung von EL AMOR ES UN FRANCOTIRADOR (Love is a Sniper) am Sonntag muss abgesagt werden, weil das Stadtoberhaupt gewählt wird (oder sollen wir einen Fernseher neben der Bühne aufstellen, der während der Vorstellung die Wahlergebnisse überträgt?). Das Baby von STRIPTEASE lernt gerade laufen und macht sich aus dem Bühnenbild davon (sollte das Bühnenbild vielleicht mit dem Baby wachsen?). Meine Katze Rusía ist läufig und lässt mich nicht schlafen ( soll ich sie sterilisieren lassen oder ihr einen Liebhaber besorgen?). Meine Mutter ruft jeden Tag bei mir an und bittet mich, mit meinem Vater zu reden ( warum muss ich ihn immer anrufen?). Mein Freund ist wieder mehr als 10.000 Kilometer weit entfernt von mir ( soll ich weinen und mit dem Kopf durch die Wand rennen oder geduldig wie eine Nonne sein?). In den nächsten zwei Tagen muss ich einen ersten Entwurf eines Theaterstücks fertigstellen
(ich habe erst 6 Seiten). So weit so schlecht.
Gestern, mitten in dem ganzen Desaster, beschloss ich, einfach alles liegen zu lassen und in das Hallenbad an der Ecke schwimmen zu gehen. Ich habe mir ein Badetrikot aus meiner Zeit als Fünfzehnjährige angezogen ( ich habe keinen richtigen Badeanzug für Erwachsene) und stieg in das dampfende Reich hinunter. Es war drei Uhr nachmittags und das Schwimmbad war voll mit drei- bis sechsjährigen Buben und Mädchen. Sie waren in Minitruppen aufgeteilt, wobei jede einer anderen Beschäftigung nachging. Ein paar Mädchen am Beckenrand applaudierten und lachten übers ganze Gesicht, bis man alle Zähne sehen konnte, während sich andere Kinder an einem Seil herunterließen, und wieder andere plantschten im Wasser dass es nur so spritzte. Dazwischen ein paar Erwachsene (infiltrierte Lehrer), die aufpassten, dass sie nicht mit dem Kopf gegen den Beckenrand schlugen oder bei dem ausgelassenen Springen und Plantschen ertranken. Ich verfolgte das alles wie ein Astronaut. Ich war Augenzeuge schierer Glückseligkeit oder eines lebendigen Abbilds vom Paradies. Dann tauchte ich den Kopf ins Wasser wie wenn ich in meine Kindheit eintauchen würde.
Während ich mit kräftigen Armzügen durch das Kinderparadies kraule, denke ich, dass ich eine Zeit lang am liebsten nur schwimmen und schreiben würde. Im Grunde ist Schwimmen wie Schreiben. Der Kopf schwimmt oben, Hin und Her auf den Sätzen wie auf Bahnen, die Hand, die vorstößt und sich wieder zurückzieht.