Mein Doppelleben

2. 7. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

27. Juni. Zürich.

Nach 18 Stunden Flug laufe ich durch die Schweizer Straßen wie eine Schlafwandlerin, während ich die letzten Tage in Buenos Aires rekonstruiere als ob es sich um einen Film handeln würde, dessen Hauptdarstellerin eine andere ist. Die eine oder andere Szene des Films schießt mir durch den Kopf: ich, wie ich beim Deutschunterricht einschlafe; ich mit meinen Freunden streitend, ich beim Schwimmen, ich im Theater, ich betrunken und headbangend wie ein Heavy Metal Girl, ich weinend am Telefon; ich, wie ich unter den Bäumen mit meinem früheren Freund spazieren gehe, ich auf der Bühne ein- und ausgehend wie eine Maus durch ein Loch in der Wand.

Ich hatte schon immer das Gefühl ein Doppelleben zu haben, und jetzt da sich mein Leben zwischen zwei Hemissphären aufteilt, wird diese Spaltung geografisch und radikal. In Argentinien geht mein Leben ohne mich weiter, und dafür habe ich einige Doppelgänger: einer, der jetzt meinen Dramatikkurs leitet (Gonzalo); einer, der für mich Regie führt (Alejo); eine Doppelgängerin, die sich um meine Katze und meine Wohnung kümmert (Luciana) und eine weitere, die meine Rolle in EL AMOR ES UN FRANCOTIRADOR (Die Liebe ist ein Scharfschütze) spielt (Natalia).

Vor kurzem habe ich sogar meine deutschsprachige Doppelgängerin kennengelernt: sie heißt Margit und ist die Übersetzerin der Tagebucheinträge und der Trilogie. An einem Regentag ist sie in Buenos Aires gelandet und vom Flughafen mit dem Taxi direkt zum Theater gekommen – mit ihren kurzen weissblonden Haaren, ihrer schwarzen Lederhose und zwei Miniaturköfferchen. Sie hat sich die Aufführung angesehen, und anschließend sind wir zur Geburtstagsparty von Alejo gefahren, wo sie die Figuren aus meinem Tagebuch jetzt auch persönlich erlebte. Es war eigenartig sie inmitten meines eigenen Kitschromans tanzen und sich mit allen unterhalten zu sehen, als ob sie sie schon von jeher kennen würde. Sie wusste alles über mich, ich dagegen nichts über sie. Doch in den Tagen nach der Party erfuhr ich, dass sie 52 ist, dass sie als junge Idealistin nach Chile gegangen ist um den Kampf gegen Pinochet zu unterstützen, dass sie in Valparaíso lebt mit zwei Hunden und zwei Katzen, und dass sie die Übersetzungen manchmal nicht schlafen lassen. Und obwohl mir noch Vieles an Margit ein Geheimnis ist, bin ich froh zu wissen, dass sie hinter mir steht, dass sie meine Sätze wie Haustiere pflegt.

Jetzt gehe ich durch Zürich und denke, dass es manchmal doch eine Erleichterung ist, meinem eigenen Leben entkommen und es von außen betrachten zu können wie in einem Traum, in dem ich Zuschauer und Protagonist zugleich bin. Dann wieder habe ich Angst, dieses Doppelleben nicht ertragen zu können: die vergangene und die zukünftige Liebe, Argentinien und Europa, die Truppe “compañía postnuclear” und die Arbeit mit S., Melancholie und Euphorie, Literatur schreiben und im Theater Regie führen …. Und ich frage mich: Warum kann man nicht zwei Herzen haben?