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18.6.2008

30. 6. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Ich bin zurück nach Zagreb gekommen.

Ich schreibe am Roman, und das bedeutet, sich aufs Minimum zu reduzieren. Aufs Minimum meiner Selbst.

Ich bemühe mich, die E-mails nicht zu öffnen, mich nicht am Telefon zu melden, jene Orte zu meiden, an denen ich jemanden treffen könnte, und nur dann auszugehen, wenn draußen niemand ist. Zum Beispiel in den BP Club, wenn gerade ein Fußballspiel läuft. Oder zur vierten Aufführung des Stücks No Dice vom Nature Theatre of Oklahoma. Ich betrete das Theater als letzte. Und verlasse es als erste. Ich habe da meine Taktik.

Heute bin ich jedoch im Internet stecken geblieben, und ich habe Eriks Brief vom 18.6. gefunden, in dem er schreibt, dass er vermute, dass ich an all den oben erwähnten Symptomen der Reduktion aufs Minimum leide, aber dass er mich dennoch fragen wolle, ob ich über das Drama für sein Projekt in Bern nachdenke. Eriks Briefe beginnen meist so, dass er mich mit Hi Ivana anspricht und statt einen Abschiedsgrußes schreibt er Cheers. Dieser Brief aber beginnt mit Dear Ivana und endet mit Big hug. Auch er hat seine Taktik.

Jetzt starre ich auf die Wand. Das ist ein Teil des Prozesses.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

20.6.2008

30. 6. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Verfluchte, nationale Tragödie.

Kroatien : Türkei – 2 : 4 bei der Europameisterschaft.

Das Spiel wurde im Amphietheater von Pula übertragen, das – wie in den Zeitungen angekündigt – der passendste Ort dafür war, da hier schon seit dem 1. Jahrhundert v. Ch. Gladiatorenkämpfe und Spiele jeder Art stattgefunden haben. Man hat ein Spektakel versprochen: die größte Projektionsleinwand im ganzen Land, eine Turbo-Beschallung sowie den Auftritt eines Popstars während der Halbzeit. Und natürlich den Sieg.

Die ganze Stadt versammelte sich. Alle gekleidet im karierten Muster des kroatischen Wappens. Sogar die Touristen hatten Fan-T-Shirts an. Wir waren auch da. Allerdings ohne Karos. Wir haben nicht angefeuert. Wir haben uns nur gewundert.

Die kroatische Nationalmannschaft verlor die Führung nach 121 Minunten und 46 Sekunden.

Ich habe nie zuvor so viele weinende Männer gesehen. Auf der Riesenleinwand waren nacheinander die erschütterten Gesichter der Spieler, der Trainer, der Physiotherapeuten zu sehen, und der Kommentator sagte immer wieder, dass auch der kroatische Nationalcoach kaum seine Tränen zurückhalten konnte. Zu den Journalisten sagte er: Wir würden uns am liebsten alle umbringen!

Wir haben später auf unserer Terrasse eine Flasche Wein geöffnet.

Es ist am leichtesten zu siegen. Man muss verlieren können.

Es ist alles wie früher. Ich schreibe an meinem Roman, ich mache Yoga und ich gehe schwimmen, nachdem die Sonne untergegangen ist. Petercol fängt Krebse und trainiert Aikido. Er hat entdeckt, dass es in der Nähe von Pula ein Aikidoseminar gibt. Zehn Leute haben sich versammelt. Sie trainieren unter den Kiefern am Meeresufer, doch niemand weiß genau, was er tut, denn Kenjiro Yoshigasaki hat schon wieder sein Konzept geändert.

Wir beschäftigen uns also mit ganz unlukrativen Sportarten.

Eine nationale Tragödie können wir nicht verursachen.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

9.5.2000

14. 6. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Damals haben wir uns zum ersten Mal geliebt.

Petercol ist aus Basel zurückgekommen und ich aus Split. Es ist nicht nötig, den Rest hinzuzufügen. Darum ist es schwer, über die Liebe zu schreiben. Es ist unnötig. Im Herzen dieses Diskurses wartet die Stille auf mich. Und sie scheint mir sehr präzise zu sein.

Ich lese Sloterdijks Kritik der zynischen Vernunft zu Ende und heile den Zyniker in mir. Es gibt viele Wege. Betrunken sein. Verliebt. Irrational. Oder einfach dumm. Oder auf einen Platz pinkeln, so wie Diogenes. „Von einer Liebe zur Weisheit ist weiter keine Rede. Es gibt kein Wissen mehr, dessen Freund (philos) man sein könnte. Bei dem, was wir wissen, kommen wir nicht auf den Gedanken, es zu lieben, sondern fragen uns, wie wir es fertigbringen, mit ihm zu leben, ohne zu versteinern.“

Ich trage dieses Buch einen ganzen Monat mit mir herum. Ich trinke, ich verliebe mich, ich bin irrational und dumm. Aber ich bin im Begriff, mich zu heilen. Der dicke und schwere Sloterdijk begleitet meinen unvollendeten Roman (order etwas Ähnliches) auf der Reise. Sie waren gemeinsan in Turin auf der Buchmesse und in Graz bei einer Lesung und auf der letzten Lesereise mit Edo, Clemens und Joe. Sie sind zusammen bis nach Osijek gefahren. Sie holperten durch Bosnien bis nach Split. Und zurück, bis zu jenem Flur dort oben.

Und der Roman ist wirklich rachitisch. Er muss es sein.

Es geht um die Zeit. Und sie muss beschleunigt werden. Und so kurz wie möglich sein.

Es geht natürlich auch um Liebe. Und darüber wiederum gibt es nich viel zu schreiben.

Deshalb schreibe ich nicht. Ich komponiere eher.

Ich bin fertig, wenn ich bis zum Herzen der Stille vordringe.

Du wirst sie nicht hören, aber sie muss dort sein.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

31.1.2008

3. 6. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Fenster.

Jenseits der Glasscheibe Kirschzweige, Turteltauben und Zagreb am Morgen. Dann am Mittag. Dann am Abend. Auf dieser Seite ich, iBook und ein Tee. Und dann Wein.

Ich schreibe oder so etwas.

An jenen Tagen, an denen ich eine Lesung oder eine Theatervorstellung habe, kann ich für gewöhnlich nicht schreiben. Ich bin nicht imstande, zwei Zeremonien an einem Tag zu verkraften. Schreiben und Auftreten. So wie heute. Ich kann mich nicht auf die unvollendete Stelle in mir konzentrieren. Auf den Roman.

Dann schreibe ich Notizen für dich. Fußnoten. Etwas in der Richtung.

Zu den Texten, die ich bereits geschrieben habe, und denen, die noch nicht fertig sind und die immer die Wichtigeren sind. Natürlich. Immer ist das wichtiger, was noch nicht geschehen ist oder was es noch nicht gibt.

Zum Bespiel ist Petercol nach Basel gefahren und hat Stille zurückgelassen… Ich muss den neuen Roman bis zum Beginn des Steirischen Herbstes beenden… Den neuen Text für Erik bis Ende November… Nach Chile fahren.

Deswegen hasse ich Lesungen und Premieren. Sie zwingen mich, Texten gegenüberzustehen, zu denen ich persönlich kein aktives, kreatives Verhältnis mehr habe. In die ich nicht mehr verliebt bin. Denen ich entfliehen möchte. Je weiter desto besser. Sie zwingen mich, auf die Frage zu antworten, ob ich zufrieden bin, während ich denke, dass es eigentlich wichtig ist, ob sie zufrieden sind.

Ana fragte mich in einem Gespräch anlässlich der Aufführung von Europa und Rio Bar in Belgrad, warum ich die Vorstellungen nicht kommentieren will.

– Why do you think so? From which position do you claim that?

– It is because I am taking the author’s position, and that always implies risk to impose, through my comments, certain dogmatic perspectives on reading of the texts. Especially in the framework of drama theatre where precisely the despotic surveillance of the writer as opposed to other authors’ positions in the creative process has brought drama to its present crisis. Due to this hierarchy, the drama theatre has acquired debasing attributes of something ossified, predictable, and conventional. On several occasions I have been asked how I imagine ideal performance of my texts. I simply do not. I do not believe in ideal staging, as this would imply that a certain definite form exists, a certain definite concept perfecting the text, while it actually ceases to exist and produce. No, thanks. This is exactly why I choose silence.

– What is the meaning of this silence for your author’s position… or for the writing as opposed to performance? Is it completely independent from you, from the author of the texts… or the texts themselves…?

…This doesn’t imply that I deprive myself of author’s integrity – quite the contrary – I believe in effectiveness of performative machines contained in the text. I think that I’ve already demonstrated this in my stagings which, on the one hand, can be understood as a radical act of violence upon one’s own sentence and, on the other, as a refusal to establish that ideal, authentic scenic form of my texts.

Ich wache nicht über die Sätze. Ganz im Gegenteil, ich versuche sie zu vergessen.

Und den einen oder anderen neuen zu schreiben. Schon seit heute Morgen. Für dich.

Einer meiner Neujahrsbeschlüsse war, dass ich jeden Tag des ganzen Jahres Text-croquis schreibe, und zwar so, dass ich sie ausschließlich an mich selbst richte. Ich hielt das für eine Übung zur eigenen „Öffnung“. Mir selbst schreiben, so intim wie ich es nur kann, frei von jedweder stilistischen Prätention, jeder künstlerischen Absicht, jedem Streben nach Kommunikation, der theatertypischen Vorstellung, dass irgendwo im Dunkel doch jemand Anderer anwesend ist.

Genau nach einem Monat habe ich aufgegeben.

Ich war nie allein.

Immer warst auch du da.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer