Archiv der Kategorie 'Randnotizen 2015'

Rakete – der Countdown läuft

10. 10. 2015 // // Kategorie Randnotizen 2015

rakete_der countdown läuft_studio ASYNCHROME

Liebe M.

… der Countdown läuft … – Effektivität bestimmt das Handeln – Experten streiten sich um ein paar Daten – die Crew hat da noch ein paar Fragen doch – … der Countdown läuft …

Keine Zeit für Fragen – ist das also die Wirklichkeit?

Mir scheint, dass Antworten nicht so einfach zu formulieren sind, da sie Kenntnis von vielschichtigen Zusammenhängen bedürfen und somit nicht analog mit einem Ergebnis gleichzusetzen sind. Was zeigt uns der Grundriss? Welche Haptik hat ein Raum? Ist es nur die Optik die zählt?

Ist es alleine mein Körper, der den Raum definiert oder entsteht die Wahrnehmung erst durch die Kleidung, die ich mir als zweite Haut überstreife – mit der ich mich innerhalb der Hüllen, der dritten Haut (Architektur) bewege? Was passiert also, wenn ich mich dieser Hüllen entledige und sozusagen hüllenlos durch den Raum wandere – gemeinsam, alleine, mich ganz ruhig niederlasse oder wild und ungebrochen die Umgebung für mich einnehme?

M.- ist die Forderung nach der Wahrnehmung von Hüllen, die Frage nach der wir alle suchen?

Was sehen unsere Augen, wenn wir die Reißverschlüsse öffnen, welche sich über die Zeit hinweg selbstständig immer weiter geschlossen haben? Bist du es, mein Gegenüber oder bin ich es, der sich selbst im Spiegel sieht? Fragmente und Überlagerungen (vielleicht sogar aus unserer Kindheit), welche sich bis dato unentdeckt als Filmschleife vor unserem inneren Auge abgespielt haben, drängen erneut in den Mittelpunkt. Vage und verschwommen erscheinen sie mir, da sie doch lange Zeit im Dunklen verbracht haben, gleichzeitig aber so präzise als wäre es gerade erst passiert. Längst verwischte Spuren aus vergangenen Wegen, die wir gemeinsam beschritten haben, treten wieder in meine Erinnerung.

Wonach riecht eine Rakete eigentlich? Ich muss HAL fragen… – frage ich wirklich einen Roboter?

Sind es die virtuellen Netzwerke denen ich allen Ernstes das Vertrauen schenke, Antworten auf meine Fragen zu finden? In einem Bruchteil der Zeit, schaffen es diese doch Verknüpfungen herzustellen und ineinander verwobene Ergebnisse nach undurchschaubaren Kriterien zu liefern. Sehr effektiv nicht? Mir scheint, es ist die Effizienz, die uns unserer Träume beraubt – alles durchdringend die Möglichkeit nimmt, selbst auf die Suche unserer Wirklichkeit zu gehen. Als wäre diese bereits zu einer vierten, virtuellen Haut geworden, welche sich als weitere Hülle die Objekte, ja sogar den Raum selbst einverleibt und diesen als glatte Oberfläche zurücklässt.

Ich frage mich, wenn wir genau diese Entwicklung als eine zusätzliche Hülle anerkennen und somit in weiterer Folge auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, sich dieser auch entledigen zu können, – was verbirgt sich dann darunter?

„An einem Ort, den die Wirklichkeit nicht kennt, liegt ein Traum verborgen, in der Wirklichkeit! (Hideaki Anno)

M. … der Countdown läuft …

Engführung (Für F‘)

7. 10. 2015 // // Kategorie Randnotizen 2015

S138_sw

Sie ist in der Lage, sich frei zu bewegen, von A nach B oder C, von E nach D, aber auch von G nach G. (Frei, auch deshalb, weil sie nicht an Freiheit glauben will. Nicht einmal mehr an die Befreiung und ihre Permanenz.) Sie zieht einen Fahrradanhänger hinter sich her, einen Fahrradanhänger für Kleinkinder. (Obwohl sie nie Kinder gehabt hat, keine kleinen und keine großgewordenen.) Im Anhänger befindet sich das Notwendigste: ein Schlafsack, Semmeln, die für den Verkauf zu trocken geworden sind, ein Album mit Fotografien, eine Porzellanpuppe, dessen Gesicht von einem dichten Netz aus Craquelés überzogen ist. Rote Kartons mit den drei Fläschchen. (Ihre Anzahl divergiert, ist abhängig von den finanziellen Möglichkeiten.) Sie wandert von Telefonzelle zu Telefonzelle. – Nachschrift als kategorischer Imperativ: Lies nicht mehr – schau! / Schau nicht mehr – geh! (Paul Celan, Engführung.)

S048_sw

Worin, fragt er sich, mag der Unterschied zwischen Nische (= Hort) und Gefängnis liegen? Für wen wird es eng? Ist es allein eine Frage von Quadratmetern? Liegt es an der Kluft, die sich zwischen Selbstbestimmung und Fremdzuweisung auftut? Daran, dass sie sich nicht selbst einfrieden, sondern gesetzt werden, auf den einen Punkt, der den Lebenssatz abschließt? Daran, dass die Züge, scheint es, immer nur für die anderen abfahren, während sie selbst auf den Bänken verharren müssen? Im Binnenland der Hoffnungslosigkeit? Liegt es an der Zeit? An ihrem Stillstand, ihrem Vergehen? Oder liegt es im Zusammenspiel von Raum und Zeit: in der Division der Strecke durch die Zeit, deren Quotient eine sogenannte Geschwindigkeit sein soll? Bewegung, denkt er, egal mit welcher Geschwindigkeit, die alles und jeden, wie man sagt, erfasst haben soll: Beschleunigung und Dynamik als gegenwärtiges All-Phänomen, Aufbruch und Mobilisierung als Fanal der Zeit. Aber jeder, denkt er, ist niemand, und alles ist nichts – ohne den Kehrreim der anderen, parallelisierte Seite. (PARALLELE: so als würde die flexibilität der einen die immobilität der anderen zudecken, als wäre da eine parallelgesellschaft im gang, die in anderen zeit- und geschwindigkeitsverhältnissen lebt und aus der öffentlichkeit mehr und mehr verschwindet. ja, die segregation, entkoppelung und entmobiliserung ganzer schichten ist im gang. – kathrin röggla, disaster awareness fair.) Für die Langsamen, denkt er, für diejenigen, denen nichts mehr davonläuft und die ihrerseits nicht länger davonlaufen können (oder wollen), wird es eng. Für die Ziellosen, denen das Hierundjetzt zur wegschmelzenden Eisscholle wird, wird es eng. Für die verarmten Gespenster, die bizarren Schatten eines kalten, einseitigen Wirtschaftswachstums, wird es eng. Und wenn es keine Fragen mehr zu stellen geben wird, dann wird es auch für ihn eng werden. Nicht?

S070_sw

Sie wandert von Telefonzelle zu Telefonzelle. Hält vor jeder, betritt sie, trinkt ein Fläschchen oder auch ein ganzes Dreiermagazin. (Es divergiert, ist abhängig von den finanziellen Möglichkeiten.) Die Telefonzellen, in denen sie unterschlüpfen kann, werden von Jahr zu Jahr weniger, die Strecken, die sie zwischen ihnen zurücklegen muss, länger. Dafür sind die Telefonhörer rot geworden, wie die Sterne, als wäre jeder Anruf ein Notruf. (Vielleicht ist er es auch: für sie in jedem Fall.) Sie trinkt langsam, zögert die Zeit hinaus: Je länger sie bleibt, umso größer die Möglichkeit, dass ein Anruf eingeht. (An sie.) Sie kennt das aus amerikanischen Filmen, die sie früher einmal gesehen hat, weiß aber freilich nicht, ob öffentliche Telefone nur in amerikanischen Filmen oder auch in der österreichischen Wirklichkeit läuten. Sie weiß es nicht und ist dennoch überzeugt davon, dass einmal ein Telefon läuten und alles zum Guten hin ändern wird. Bislang war es nicht der Fall, aber bislang war vieles nicht der Fall. Außerdem ist da, in den Telefonzellen, diese herrliche Enge, die sie umgibt und sie stützt. Glaswände in jede Richtung, an denen sie sich anlehnen und durch die sie hindurchsehen kann. In Telefonzellen kann man nicht umfallen. Selbst dann nicht, wenn das Läuten auf sich warten lässt, und es langsam eng wird, für sie. – Nachschrift: die Nacht / braucht keine Sterne, nirgends / fragt es nach dir. (Paul Celan, Engführung.)

Nachbild: Der von Ihnen gewünschte …

S179_sw

 

Zeichnen mit Licht

5. 10. 2015 // // Kategorie Randnotizen 2015

randnotiz_bigdraw_studio ASYNCHROME (1)

Lieber M.

Ich möchte dir von einem interessanten, wenn auch gleichzeitig merkwürdigem Ort erzählen – an dem ich mich unlängst aufgehalten habe. Die Welt stand auf dem Kopf, während ich mich aber auf den Beinen befand – Utopia? Ich frage mich, was oder wer war umgedreht, sozusagen auf der anderen Seite der Oberfläche? Das Außen war gleichzeitig das Innen. Du musst es dir so vorstellen, als wärst du unsichtbarer Teil eines Bildes, welches sich aber im Tausendstel einer Sekunde weiterbewegt. Zwar durchsichtig, wenn auch ganz und gar nicht transparent, dennoch gleichzeitig festgehalten vom Licht, ein unmittelbares Abbild. Als wäre man in einem riesigen, obscuren Sehapparat – Camera Obscura? Wahrnehmung / Wahr-Nehmung. Ist es die Wahrheit, die ich mir von diesem Ort mitnehme oder ein Spiegelbild der Gegenwart? Das Umschalten ist nicht möglich! Kurz war es mir, als könnte ich deine Papierschiffe sehen.

In der Dunkelheit, die an diesem Orte herrschte, ist die Zeichnung nach und nach entstanden – geheimnisvoll – obwohl das Licht dort schon viel früher seine Spuren hinterlassen hatte. Ich berichte dir hier von Überlagerungen aus Zeit und Raum, Fragmenten – Zeugnis von einem Noch-nicht oder einem Schon-vorbei, wie du es nennen würdest. Ich versuche dir eine Situation zu beschreiben, welche zu diesem Zeitpunkt auch schon längst wieder verschwunden ist – sich in Luft, Licht oder doch im Schatten der Dunkelheit aufgelöst hat. M. – ich konnte erahnen was kommt, was kommen könnte und doch bleibt Vorhersehung nicht vorher seh-bar. Die Verschiebungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglichte das Bild zu fühlen, anstatt von einer festen Vorstellung beseelt zu sein – zu hören, obwohl es ganz still war.

randnotiz_bigdraw_studio ASYNCHROME (2)

Wie ein flüchtiger Denk- oder Fühlprozess, besser gesagt eine Sprache ohne Worte – oder Worte, die sich aus anderen Buchstaben formen, als wir es womöglich sonst so gewohnt sind. Eine Projektion eines Prozesses, welcher viel mehr Fragen stellt als Antworten liefert. Was passiert also, wenn das Licht schon im Vorhinein eine Skizze hinterlässt? Führt der Versuch, diesen Spuren zu folgen, zu einer Zeichnung – Narration? Als künstlerisch/architektonisches Medium ist sie doch für uns die unmittelbare Umsetzung eines zeitintensiven Konzipierens und Recherchierens. Jeder Strich ist der manifestierte Vorgang, sich einer selbst gestellten Frage zu nähern und diesen Denkprozess in die eigene Sichtweise zu übersetzen. The „Big Draw“ – ist es die Zeichnung, das Bild, das bleibt? Ist es das Gefühl eines Raumes, obwohl dieser mit dem Licht schon längst weitergezogen ist? Nie wurde mir das Phänomen: „Zeichen mit Licht“ so bewusst wie dieses Mal.
Wenn ich denke, dass ich denke, was ich denke, bin ich doch die, die ich denke, die ich bin – oder umgekehrt? Verwirrend, lassen wir das!

Achja, zwischenzeitlich war ich mir auch nicht ganz sicher ob du an meiner Seite gestanden und mit mir und dem Licht gezeichnet hast. Obscur ist das mit dem Sehen…

randnotiz_bigdraw_studio ASYNCHROME (3)

M. – ich hoffe, dass dich meine Bilder erreichen und ich bald wieder von dir höre.

Preparation

5. 10. 2015 // // Kategorie Randnotizen 2015

 

This is Ragnar. We’re rehearsing.

image1