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Gesamtluftwerk

8. 7. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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War jetzt dienstlich in Amberg und habe unterwegs unsern verstorbenen Stammtischbruder Hans Forster in Sulzbach-Rosenberg besucht. Dieses liegt von Westen und Nürnberg kommend keinen Steinwurf, aber doch sieben Bahnminuten und gute zehn Artilleriesekunden von jenem (Jemen) entfernt. Diese allzu geringe Ferne als auch Nähe aber erklärt die beiderseitige Abneigung der Gaue. (Eine Oberpfälzer Variante des Köln-Düsseldorf-Syndroms.)
Im mir vertrauten Sulzbach, welches eine ähnliche Neigung und Nähe zu Rosenberg empfindet wie Eickel zu Wanne, lief ich vom Bahnhof zunächst an der Hosenfabrik Hiltl, Asamstraße 6, vorbei und nahm am dortigen Werksverkauf (Sa. 7–12 Uhr) teil. Eine Fabrik von klassischer Anmutung, sehr adrett, sehr sachlich. Am Empfang ein wenig Holzkunst, sehr dezent bekennend, daneben das Portrait eines Fabrikahns bzw. Werkahnen, vermutlich aus der Reihe Verstorbener derer von Hiltl.
Pappschilder führten mich und andere Herrenhosenkäufer in ein weiträumiges, doch enggestelltes Kellergewölbe voller Herrenhosen. Dort standen wir verschämt in Unterhosen zwischen dekameterlangen Kleiderständern und anderen extra angereisten Hosenkaufs und probierten halbverdeckt, halb versteckt und all umher, da die einzigen zwei Umkleidekabinette von Ehefrauen der darin probierenden schwer bewacht und ewig nicht frei gegeben wurden.
Ein Firmenmann an würdevollem Schreibtisch, bar jeder elektronischen Tollkühnheit (sonder Rechenmaschine), aber mit viel Stempelkarussels und Firmenkulis beschrieb einen Zettel mit den Zeilen: „Herr (… wie schreibt sich das? …) Kabolski, zwei Hosen: 50 €“ und setzte Sigel und Stempel drunter, womit für mich die peinvollste Sulzbacher Angelegenheit erledigt war und ich geschwind zum Friedhof hinaufeilen konnte.
Und da lag er nun, unser Hans, – aus Ersparnisgründen? – unter steinernem Familiennamen. (Ich bitte, MIR neben Erdbestattung auch Vornamen und Eckdaten zu vergönnen! – Dabei hat es meine Mutter genauso verfügt. Ich nahm mir gleich vor, nachzufragen, was so ein Datum in Stein für die zwei Eltern kostet.) Hätte ich nicht tags zuvor bei den Sulzbacher Friedhofsbehörden angerufen, wäre ich vor lauter Forsters ganz ratlos gewesen, an welche Grablege ich mich zu stellen habe.
Dann eilte ich weiter hinauf in den Ort, der trotzig wider Amberg auf einem Berge ansitzt, zum Fuchsbeck, dem Hausbräu hin noch einiges zu traunken (= trinken + trauern) und zu essern (dito). (In diesen Landstrichen neigt sich der Trauernde bevorzugt über Bratwürste mit Kraut und nicht über Streußelkuchen an Sprühsahne.) Der Wirt, bei der damaligen Trauerfeier hatten wir ihn detailliert kennengelernt, hängt immer noch der Christlichen Seefahrt nach und fabuliert welt- und weitläufig. (Und ich sollte dann ja sogar noch mal, in zwei Tagen Oberpfalz also gleich satte zwei Mal, mit der Hochseeschiffahrt in Berührung kommen.)
Nun aber in Amberg, das mich enttäuschte: Weder ANO noch Bayrischen Hof gibt es noch; alles sehr schick insgesamt (Café Colomba und so die Richtung; der übliche Cafe-Mulatte-Unfung mit langen Weißschürzen an Germanistikstudentin), freilich unter behäbigem Deutschtum, das sich tapfer leugnet.
Eine Absturzkaschemme die sich gleichwohl auch als Speisegaststätte gerierte (im Raume Steinhofgasse?) habe ich aber dennoch instinktsicher besucht (nee, eher befunden). Dort fielen auf: ein Holzschild mit solcher Inschrift:
„Der Kopf tut weh
Die Füße Stinken
Jetzt müssen wir
Ein Bierchen trinken!“
(Ohne Punkt und Komma, aber mit Ausrufezeichen und Majuskeln am Versanfang ausgestattet und in Hochdeutsch gehalten.)
Ferner auffällig: zwei Stinkbesoffne in Bayern-München-Tracht (Fußball; ich hatte Loyalität zum Nürnberger Club erwartet, aber, mein Gott, was haben die Oberpfälzer mit den Franken zu schaffen? Auch wieder wahr!) mit entzückender Wechselrede:
Der eine: „Jo freili, kiss my äsch!“
Der andere: „Wos sogst?“
Der eine: „Jo freili, kiss my äsch!“
Der andere: „Wooos sogst?“
Der eine: Jo freili, kiss my äsch! Son of a bütsch!“
Der andere wieder: „Wos sogst?“
Der eine: „Kiss my äsch, sog i!“ – Und so weiter bis über meinen Abgang hinaus.
Und noch so ein Amberger Schnapsschuß: Einer bauchfreien, gepiersten als auch gearschadlerten, dicklichten, jungen gleichsam schon alt aussehenden Oberpfälzerin will so ein Rollkoffer am Amberger Bahnhof nicht recht gehorchen; da flucht sie laut:
“Fuck! Oldä!”
(Und meint sowohl sich, maskulin adressiert! als auch ihr Ungeschick. Und den Koffer och noch!)
In Amberg nun führte ich abends mein stolzes und gutmütiges Gesamtwerk in der aufblasbaren Ausführung vor und erzählte ein wenig Drumrumgeschichten. Danach trat ein freundliches Ehepaar formgewandt an meine Seite und wir plauderten uns alsdann hinaus auf einen Gasthof zu, den ich seines verstiegenen Namens wegen (irgendwas mit Monte Casino) niemals betreten hätte, der aber doch noch halbwegs bei Sinnen zu bleiben sich entschlossen hatte und wo sogar eine Blaskapelle zu Bockbier und Bratwurst geboten wurde.
„Was vermuten Sie?“, fragte der nette Herr und Begleiter, nachdem wir nun schon vertrauter geworden waren, „welcher Profession meine Frau und ich nachgehen?“
„Sie sind Reeder!“, riet ich keck und unverhohlen. (Es war ganz vage zu schlußfolgern, aber der Lage Ambergs wegen doch dreist erraten.)
Vor lauter Erstaunen wollte man mich sogleich mit einer Schiffspassage beschenken: „Nicht sehr komfortabel, aber wenn Sie wollen – großes Erlebnis!“
Ich begehrte zu wissen, mit welchen Gütern ich transportiert werden würde.
„Kaolin.“
„Pulver oder fertige Tasse?“
Ha! Das Bockbier hatte mein über eine ewige Strecke untätig gebliebenes chemisches Wissen forsch werden lassen, und wir klugpuscherten sogleich auch ein wenig über das Elend der Königlich Preußischen Porzellanmacherei und Meißen und Selb und so.
Anderntags verließ ich die Stadt und fuhr mit der Bahn über Sulzbach und Nürnberg nach Bamberg hin, allwo ich mich mit einem Tag Urlaub beschenkte, den ich gar nicht brauche. Wie versöhnlich wieder alles, hier im Bamberger Spezial! All die lieben, netten biersaugenden Greise in ihren grell gelben Pollundern! Die geräumigen Gesichter, grundgut, von Blutdruck rötlich eingefärbt.

Die Torhüterin

28. 6. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

Wenn alles gut ging und man sich einige Zeit ließ beim Betrachten des schönen, mittelalterlichen Regensburger Schottenportals, dann lauerte einem dort ganz gewiß eine nette, ältere Dame auf, die man bald gar nicht mehr abschüttelte, da sie Stunde um Stunde in funkelnder, dann aber auch auf etwas spukhafte Weise am Portal tief hin- und herdeutete. Eine Kunstgeschichte mit Anmache: Sie unterlegte das Relief mit endloser Geschichte und Ausdeutung und der graue Stein offenbarte durch sie Farbe und Leben.
Eine amtliche Fremdenführerin war sie indes nicht. Als Kunstwissenschaftlerin hatte sie sich in privater Mission, und somit ja automatisch vom Wissenschaftsbeamtentum befehdet, früh diesem gewiß einzigartigen romanischen Portal verschrieben und immer wieder ergänzte und verbesserte Deutungen unternommen und auch privat veröffentlicht. Ihre ‚Symbolsprache der romanischen Schottenkirche’ liegt mir in der fünften verbesserten Auflage von 1987 vor, und ich vermute und hoffe, es wird weitere gegeben haben. Zuletzt schrieb sie mir 1995, da wir über mittelalterliche Ballsymbolik korrespondierten.
Nach Dafürhalten eines mir bekannten Kunsthistorikers sind ihre Forschungen wohl einerseits seriös, andererseits etwas weitreichend, was aber, wenn solche Dinge mit höchster Einfühlungskraft geschehen, auch irgendwie überhaupt nichts schadet. Im Gegenteil! Nun, Frau Conrad selbst sah sich von der Zunft mißverstanden, geschmäht gar. Das Internet weiß nichts von ihr, ihre Heimatstadt Regensburg auch nicht.
Damit sei Schluß jetzt! Ich lobpreise das Werk sowohl seiner hermeneutischen Reichweite als auch amüsanten Akquisitionsumstände wegen! Und daß Frau Conrad im Telefonbuch zu finden ist, erachte ich für ein Lebenszeichen, und vielleicht kann man sie ja noch zu einer Führung ans Schottenportal bitten? -: Nun, es geht ihr den Umständen gemäß, jetzt im einundachzigsten Lebensjahre gottlob gut! Und wir haben nun sogar eine sechste und siebente Auflage! Und ab und an schaut sie sich ihr Portal auch noch an und sagt auch was dazu.

Lore Conrad, Die Bildsymbolsprache der romanischen Schottenkirche in Regensburg, Privatdruck, 7 Auflagen, Regensburg 1987

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Schübisch gmänt

14. 6. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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War jetzt kurz in Schwäbisch Gmünd um mich und mein Werk an der Hochschule für Gestaltung, gloreiche Nachfolgerin des legendären Ulmer Hauses, vorzustellen. Dafür brauchte ich 18,5 Stunden: Montag 9, Dienstag 9 und Mittwoch für eine Zusammenfassung noch mal ne halbe.

Dazwischen jagte ich im Stechschritt ins Ortsinnere, denn man hegt als Städter so die idiotische Vorstellung, daß dort dann die berühmten Maultaschen und Zweibelrostbraten aufgetragen werden.

Ah! Dort hinten der Grüne Baum. Speisekarte: Penne Napoli, Pizza pizzicato.

Holla! Hier links Zur Linde. Speisekarte: Gyros a la Conto.

Und dort? Döner? Ischkembe? Zum Ratskeller: Che Vapschischi.

Die Bahnhofskneipe: Burritos chnochos.

Herr im Himmel! Was für ein verludertes, defaitistisches Volk, diese Schwaben!?

Dann aber führt mich mein Instinkt durch die Paradiesstraße hin zum Hasen. Welch Tempel! Welch gemache Ruhe, atmende Stille. Was für hohe Gespräche. Nur dort hin und sogleich lenke der Weise seinen dürstenden Schritt!

Irrwitz

24. 5. 2007 // // Kategorie Randnotizen 2007

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Wahnwitz. Aberwitz. Starre auf neuen Globus. Aldi: 19,99, mit Beleuchtung, welche eine thematische Karte zum Vorschein bringt. An, aus. Physische Geographie, Anthropogeographie. Und da oben, genau da hockst du nun ständig rum! Und gleich hockst du in der Quelle, wo die Kulissen so angenehm weiter als zu Hause, entrückt, beseelt, gedankenlos, gedankenschwer. Die Quelle befindet sich auf dem täglich einmal gedrehten Erdball. Hui! (Dreht er sich selbst oder wird er gedreht?) Tag und nacht, Licht an, Licht aus. Klick, klack. Da rauschen wir eklyptisch geneigt um unsere Erdklumpenachse, und der Erdklumpen pfeift jährlich einmal um das Sonnengestirn und der Halbe kostet jetzt Zweizehn in der Drehquelle. Und wenn ich tot bin, dreht sich alles soweit und einstweilen weiter. Zweizehn indes bleibt nicht besteh’n!
Ich sitze den 18. Januar 2007 in der Drehquelle, wir sind eben, gerade vor 18 Tagen um unsere Erdachse 365 mal und ein Jahr lang um die Sonne gedreht, und gestern ist meine Steuererklärung von mir selbst fertig erklärt worden (obgleich ich sie nie restlos verstehe), das gehört dazu, das muß sein, und meine Confessio habe ich mit EV eintragen müssen. (Wird Gott wissen, was EV bedeutet? Ja! Er, der Dreher und Ankurbler, der Formularschöpfer und Urquell muß es wissen müssen. Es trägt seiner Bischöfin Käßmann das Gehalt ein.)
Man spürt das Drehen und Fliegen gewöhnlich nicht, gottlob! daß uns nicht schwindelig wird muß ein Schwindel uns fixieren, in der Quelle muß er mich festmachen, ein Wahrnehmungsschwindel, daß es mich nicht vom Stuhl haut, daß die Sabrina das Bier nicht im Gegenwind herbeikämpfen muß; heute aber bemerke ich es, ganz deutlich, und die Kugel schrumpft ja so arg, das Drehen ändert sich. Die Sabrina hat heute Rückenwind.